Kultur

Die Zärtlichkeit des Waldes

Die Zusammenarbeit der Wiener Stadtregierung mag ihre Eigenheiten haben, aber Maria Vassilakou hat bestimmt sehr selten berufliche Termine, die damit enden, dass sich alle im Kreis aufstellen, an den Händen nehmen und singen.

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Die Wiener Vizebürgermeisterin empfing Gäste aus dem brasilianischen Urwald, und alles war ein bisschen anders als sonst im Wiener Rathaus üblich. Man sprach von Liebe und Verständnis, man hörte einander zu, und am Ende wurden Geschenke überreicht. Und dann war die Rede von Hoffnung.

"Sie singen die schlechten Energien weg", erklärt Ernesto Neto (im Bild links mit Maria Vassilakou) die Rituale der Huni Kuin, jenes indigenen Volkes aus dem Regenwald, deren Vertreter der brasilianische Künstler nun nach Wien geladen hat.

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Ernesto Neto gehört zu den bedeutendsten bildenden Künstlern Brasiliens: Seine sinnlichen, meist interaktiven Ausstellungen waren in Bilbaos Guggenheim Museum ebenso wie im New Yorker MoMA zu sehen. Nun hat er seine von der Decke baumelnden Tränen-Tropfen und seine organisch anmutenden Skulpturen nach Wien in Francesca Habsburgs Kunstraum "TBA 21" in den Augarten gebracht. Die Schau "Aru Kuxipa – Sacred Secret" (siehe unten) hat Neto gemeinsam mit amazonischen Künstlern, Pflanzenheilern und Schamanen der Huni-Kuin-Gemeinschaften aus Brasilien erschaffen.

Ort der Heilung

Der Augarten soll nun, nach dem Intermezzo im Rathaus, ein Ort der Heilung werden. Neto schwärmt von der Kunst der Huni Kuin, ihrer gelebten Symbiose von Körper und Natur und ihrer spirituellen Vision, die unsere Welt so dringend brauche. "Als ich den Huni Kuin begegnet bin, hat sich mein Leben radikal geändert. Ich bin förmlich in die Natur gesprungen und habe ihre Geheimnisse erfahren. Ich habe eine andere Welt entdeckt."

Große Worte, große Gefühle. Diese will Neto nun auch den Österreichern vermitteln und ihnen "die Zärtlichkeit des Waldes" näherbringen. In seine Arbeit bettet er Musik, Zeichnungen, und Rituale der Heilkunst der Huni Kuin ein.

Erste und letzte Reise

Viele Vertreter der Urwaldbewohner, die mit Ernesto Neto nach Wien gekommen sind, waren noch nie in Europa. "Für die meisten ist es die erste große Reise. Und wohl auch die letzte", sagt Fabiano Maia Sales, der als "Botschafter" der Gruppe auftritt. "Es ist ein historischer Moment. Sie sind das erste Mal fort aus Brasilien. Und sie werden wohl auch nicht mehr herkommen. Weil sie ihren Traum vom Leben schon realisiert haben."

Zufriedenheit und Glück, im Einklang mit der Natur: die Quintessenz des Lebens der Huni Kuin, dieses "Wahren Volkes", so die wörtliche Übersetzung. Fabiano Maia Sales ist Teil einer neuen Generation. Er lebt seit einem halben Jahr in Berlin und will versuchen "eine Möglichkeit zu finden, mit der Natur und der Stadt zu leben. Ich will das Beste aus beiden Kulturen zusammenbringen."

Der erste Kontakt zur Großstadt war "die größte Herausforderung meines Lebens. Zuerst dachte ich: ‚Ich bin nicht dafür gemacht.‘ Doch du ziehst dir die Kleider der Großstadt an, und du beginnst, zu fühlen wie der andere. Das heißt aber nicht, dass ich aufhöre, zu sein, wie ich bin."

Liebe und Geduld

Man brauche viel Geduld für diese Welt. Und Liebe. Nur mehr wenige Tausend Vertreter seines Volkes leben im Amazonas-Gebiet, viele von ihnen mussten nach ihrer Entdeckung durch die Brasilianer im 19. Jahrhundert fliehen, um Gewalt und Zwangsarbeit zu entkommen.

Bitterkeit und Hass kennen sie trotzdem nicht, sagt Fabiano: "Wenn man mit der Kultur lebt, ist man ganz. Deswegen gibt es keine Negativität." Wie erlebt er unsere Welt, die nicht sehr "ganz" ist? "Eure Leute hier sind sehr fortgeschritten. Mit Geld, mit Macht, mit Technologie. Das hat vielleicht dazu geführt, dass ihr nicht mehr in Kontakt zu eurem Frieden seid."

Mitteleuropa sei ein Ort "großer Traurigkeit".

Ein ernüchternder Befund, der an diesem Vormittag im Wiener Rathaus ausgestellt wird, doch am Ende macht Fabiano Maia Sales Mut. Auf die Frage "Sind wir noch zu retten?", sagt er:

"Es gibt immer Hoffnung. Es ist an der Zeit, dass sich unser Geist wieder Richtung Sonne begibt."

Ausstellung: Heilige Geheimnisse im Augarten

Ernesto Netos Arbeiten in Wien und in der Kunsthalle Krems

Die Huni Kuin leben in Brasilien im Amazonasgebiet an der Grenze zu Peru. Nach zwei Generationen ausbeuterischer Zwangsarbeit unter brasilianischen Gummiplantagen-Besitzern und peruanischen Gummizapfern sowie einem schweren Genozid, der die Mehrheit ihrer Ethnie auslöschte, sind sie heute in einem Prozess der Wiederentdeckung ihrer Traditionen, Glaubenssysteme und Praktiken – zu sehen in der Ausstellung, die der brasilianische Künstler Ernesto Neto mit Vertretern der Huni-Kuin-Gemeinschaften erarbeitet hat.

Die Schau „Aru Kuxipa – Sacred Secret“ („Heiliges Geheimnis“) im Kunstraum Thyssen-Bornemisza Art Contemporary im Augarten ist eine Zusammenarbeit mit der Kunsthalle Krems und von 25. Juni bis 25. Oktober zu sehen. Die Ausstellung wird von einer Reihe von Symposien und Vermittlungsprogrammen begleitet. Huni-Kuin-Künstler nehmen vom 25. Juni bis 6. Juli teil. Die Kunsthalle Krems widmet Ernesto Neto ab 18. Juli eine Personale mit Arbeiten aus den letzten 25 Jahren. Neto wird die Kunsthalle Krems dafür in ein sensuell erfahrbares Gesamtkunstwerk verwandeln.

www.tba21.org/program
www.kunsthalle.at