So ist der neue Mary Poppins Film "Mary Poppins' Rückkehr"
Von Alexandra Seibel
Wer auf dem Kopf steht, sieht die Welt aus einem anderen Blickwinkel. Eine Kunst, die nicht jeder beherrscht, die man aber erlernen kann – hat man ein Kindermädchen wie Mary Poppins.
Rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft, segelt die berühmte Nanny in der Disney-Fortsetzung „Mary Poppins' Rückkehr“ (ab 20. Dezember im Kino) mit dem Regenschirm zur Tür herein – und Branchenbeobachter hören bereits die Oscar-Glocken läuten.
Emily Blunt ist hinreißend als Mary Poppins: Mit ihrer konstant gehobenen Augenbraue verkörpert sie perfekt pikiert das fliegende Kindermädchen und lenkt mit ironischer Milde das Geschick der Banks-Kinder. Schon deren Vater und Tante hat Mary Poppins – damals noch in Form von Julie Andrews – mit dem legendären Löffelchen voll Zucker die bittere Medizin versüßt. Nun ist die nächste (Zuschauer-)Generation an der Reihe.
Regisseur Rob Marshall entfaltet die Fantasiewelt des magischen Kindermädchens in leckeren, bunten Bonbonfarben und wunderschöner Technicolor-Nostalgie. Wenn die Banks-Kinder ein Bad nehmen, tauchen sie mitsamt ihrer Nanny in einen weißen Schaumberg ein, nur um dann in einer fantastischen Unterwasserwelt zwischen den Delphinen zu singen. Die allseits beliebten Songs von den Sherman-Brothers aus dem „Mary Poppins“-Original von 1964 werden nicht neu aufgegossen – insofern gibt es keine Spaß-Ohrwürmer wie „Superkalifragilistigexpialigetisch“. Doch gefühlvolle Melodien wie „The Place Where Lost Things Go“, mit denen Mary die verwaisten Banks-Kinder über den Tod ihrer Mutter hinwegtröstet, klingen lieblich im Ohr und bringen die Augäpfel zum Schwimmen.
Ob natürlich die heutige Rap-Jugend auf die bewusst altmodisch gehaltenen (und ein bisschen zu vielen ) Musik-Einlagen abfahren wird, bleibt abzuwarten. Aber die dynamisch choreografierten Tanznummern, mit flotter Sohle hingelegt von einem beschwingten Ensemble, fördern die vergnüglichsten Qualitäten des klassischen Musicals zutage.
Elegant verschmilzt Marshall die Live-Action-Szenen mit wasserfarbenen Animationssequenzen und bevölkert sie mit einer Tierwelt im traditionellen Disney-Trickstil. Tanzende Flamingos, sprechende Pferde und freundliche Hunde bevölkern die kindlichen Fantasieausflüge und bringen Farbe in das Depressions– London der 1930er Jahre. Einen Spezialeffekt der Sonderklasse bietet die unverwüstliche Meryl Streep als verdrehte Cousine von Mary Poppins, spricht mit russischem Akzent und macht dabei Überschläge. Sie ist es auch, die eine kostbare Suppenschüssel repariert, die von den Banks-Kindern zerbrochen wurde.
Tatsächlich klebt der Kuckuck auf dem Familienhaus, denn Vater Banks – ein schnauzbärtiger Ben Wishaw – ist schwer verschuldet und kann der Bank den Kredit nicht zurück zahlen. Zumal Colin Firth als schlitzohriger Banker alles dran setzt, das Haus an sich zu reißen.
Selten wird der durchwegs optimistische, um nicht zu sagen: süßliche Erzählton unterbrochen, und selbst im größten familiären Drama lässt niemand den Kopf länger als zwei Sekunden hängen. Und spätestens, wenn der mittlerweile 92-jährige Dick Van Dyke – Mr. Dawes aus der Originalbesetzung – das Tanzbein schwingt, weiß man: Alles ist gut.