Eugene O'Neill im Burgtheater: Immer die gleiche Leier
Von Thomas Trenkler
Es hat schon eine gewisse Logik, dass auf „Die Glasmenagerie“ von Tennessee Williams – die Premiere war vor zwei Monaten im Akademietheater – nun „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ von Eugene O’Neill folgte. In beiden US-Stücken zerbricht eine Familie an den Umständen, in beiden Stücken flüchtet man vor der Tristesse in Süchte und Sehnsüchte.
In „Die Glasmenagerie“ will Amanda nicht wahrhaben, dass ihre Tochter Laura verkrüppelt ist. Und bei Eugene O’Neill hält Mary eisern daran fest, dass ihr jüngerer Sohn eine „Sommergrippe“ und nicht die „Schwindsucht“, also Tuberkulose, habe. Da wie dort versuchen sich die Söhne als Dichter: Tom wird „Shakespeare“ gerufen, und James Tyrone legt seinem Edmund nahe, sich an Shakespeare zu halten. Man könnte noch weitere Parallelen herausarbeiten; in der Umsetzung hingegen wird man auf keine stoßen.
Bösch verlegte „Die Glasmenagerie“ aus der Wirtschaftskrise der späten 20er-Jahre in die frühen 60er-Jahre, als die „West Side Story“ ihren Siegeszug antrat. Zudem macht er das Elend erträglich, indem er einige komische, schrill zugespitzte Situationen einbaut. Bei Andrea Breth im Burgtheater hingegen gibt es nichts zu lachen. Oder so gut wie nichts. Trotz einiger Striche dauert die Reise in die Nacht vier Stunden, mitunter zähe Stunden.
Denn die Anschuldigungen werden stoisch wiedergekäut. Nicht nur Edmund stauben die alten Geschichten irgendwann bei den Ohren heraus. Er ist das Alter ego des Autors, der die Ereignisse des Sommers 1912 zu einem einzigen Tag verdichtet hat. Bei der äußerst detaillierten Szenenanweisung hielt sich O’Neill exakt an das reale Ferienhaus seines Vaters. Doch Martin Zehetgruber schuf auf der sich bedächtig drehenden Bühne eine verödete Seelenlandschaft ohne Raffinesse: Schlacke-Brocken, von Wasser umspült. In Hintergrund liegt das Skelett eines Blauwals; es ist zwar durch ein Zitat legitimiert, eröffnet aber keine neue Dimension. Einzige Konzession an die Vorgabe ist ein Parkettboden, der sich weit ins Parkett hineinzieht. Auch nicht neu.
Gegeneinanderspiel
Für all dies Klimbim hat Breth kaum Verwendung. Wichtig ist nur das Gegeneinanderspiel der vier Familienmitglieder. Und so hat sie sich ein exzellentes Ensemble zusammengestellt, von Françoise Clavel hell eingekleidet: Sven-Eric Bechtolf als geiziger James Tyrone, der gerne gütig wäre; Corinna Kirchhoff, die als morphiumsüchtige Mary zunehmend entrückt herumgeistert; Alexander Fehling als Sohn Jamie, der sein Versagen im Whiskey ertränkt; August Diehl als beinhart beobachtender, leise hüstelnder Edmund.
Damit man wenigstens weiß, was man sich vorzustellen hat, beschreibt Edmund zu Beginn die Szene. Die Charakterisierungen aber unterbleiben. Was schade ist. Denn zumindest eine ist ein Schlüssel: Der Vater, einst ein berühmter Schauspieler, werfe sich zwar nicht absichtlich in die Posen, denn er sei vom Wesen her ein unprätentiöser Mensch, aber in seine Redeweise und Gesten hätten sich Bühnengewohnheiten, die wie sorgfältig einstudiert wirken, eingeschlichen. Andrea Breth macht von Anfang an klar: Die vier Figuren spielen Familie, sie stellen eine intakte Familie nur zur Schau. Nicht naturalistisch, nicht realistisch, sondern einen Dreh übertrieben, einen Tick zu laut – und mit der perfekten Artikulation der Radiomoderatoren. Wer jedes Wort verstehen will: Hier ist er richtig! Und er kann auch noch den englischen Originaltext, übertitelt, mitlesen.
Zweierkonstellationen
Man könnte auch sagen: Die Figuren agieren nicht ganz echt. Etwa wenn James schützend seine Hand um Mary legt – und sie dann Unbeschwertheit vorgaukelt.
Erst nach vielen Demütigungen und Vorhaltungen im Laufe des langen Tages offenbaren die Vier ihr wahres, ihr verletztes und verletzliches Ich. Das tun sie eigentlich nur in Zweierkonstellationen. Wer für einen verbalen Abtausch an der Reihe ist, schleicht aus der Tiefe der Bühne, über der nach der Pause gespenstischer Nebel liegt, nach vorne.
Sie belügen sich und die anderen. Sie reden viel und aneinander vorbei. Meist sitzt einer auf einem der vier Sessel. Sie schauen sich dabei so gut wie nie in die Augen. Diehl blickt erst auf, wenn Bechtolf wegschaut. Das machen sie fulminant.
Die Blicke kreuzen sich nicht einmal. Außer, wenn es wirklich ans Eingemachte geht. Wenn zum Beispiel Edmund seiner Mutter vermittelt, wie ernst es ihm ist. Wenn man quasi der Wahrheit ins Auge blickt. Ein starker Abend, ergänzt um Andrea Wenzl als freches Hausmädchen, mit einem besonders starken vierten Akt.