Kultur

Eine Geschichte, die Angst macht

Auf den ersten Blick könnten sie nicht weiter voneinander entfernt sein, diese beiden Welten: Hier die schmalen Kleider und Hosenanzüge, die zeitlosen französischen Stil mit einem Hauch von Hippie- und Rock-Chic vermitteln. Kolportierterweise getragen von Stars wie Patti Smith und David Bowie. Und da ein Film, der von Arbeitslosigkeit, Kindesmissbrauch und Flucht erzählt.

Die als Mode-Designerin agnès b. bekannte Künstlerin Agnès Troublé hat mit "Je m’appelle Hmmm..." ("Mein Name ist Hmmm...") ihr erstaunliches Filmregiedebüt gegeben. Der schottische Künstler Douglas Gordon spielt darin eine Hauptrolle, der italienische Philosoph und Neo-Marxist Antonio Negri hat einen Gastauftritt.

Tatsächlich passen die beiden Welten ganz gut zueinander: Die ehemalige Linksaktivistin Troublé engagiert sich seit Langem für Underground-Kunst und setzt auch in ihrer Modefirma auf soziale Verantwortung. Und ihr künstlerisch sehr ambitionierter Film (der in Frankreich ein durchwachsenes mediales Echo erfuhr) trägt autobiografische Spuren: Troublé verließ als Teenager den goldenen Käfig ihrer Familie in Versailles, heiratete früh den elf Jahre älteren Verleger Christian Bourgois und war schon mit 19 alleinerziehende Mutter. Ihren Modestil entwickelte sie mit Kleidern vom Flohmarkt. Auf die prompt eine Elle-Redakteurin reagierte und die Kunststudentin engagierte.

KURIER: Ihr Film ist ein Roadmovie über Einsamkeit, Flucht, Kindesmissbrauch. Weit weg von der Welt der Haute Couture.

Agnès Troublé: Ich bin mir dessen bewusst, was auf der Welt geschieht. Kindesmissbrauch ist ein wichtiges Thema. Auf der ganzen Welt, in allen Kulturen. Es stimmt, dass man diesem Film vielleicht nicht von mir erwartet hätte. Doch ich habe immer versucht, mich der Kunst auf die eine oder andere Weise zu nähern.

Sprechen Sie in diesen Film auch von eigenen Erfahrungen?

Ja, ich habe ähnliche Erfahrungen gemacht. Allerdings nicht in diesem Ausmaß. Der Film ist Fiktion.

Aber Sie wissen, wie es ist, als junge Mutter kein Geld zu haben.

Ja, ich habe mit 19 Zwillinge bekommen.

Die junge Mutter in Ihrem Film könnte sich kaum ein Kleid von agnès b. leisten.

Wissen Sie, es gibt mehrere Millionen Arbeitslose in Frankreich. Ich habe meine Geschichte bewusst im Mittelschicht-Milieu angesiedelt, um nicht das Proletariat per se zu diskriminieren. Ich wollte nicht sagen: Die sind arm und außerdem missbrauchen sie ihre Kinder.

Die Probleme der Arbeiterklasse interessieren Sie?

Ja, auch in der Kleiderherstellung ist das Thema. Ich lasse so viel wie möglich in Frankreich herstellen.

Gleichzeitig verkaufen Sie viel in Asien. Mode Made in France, verkauft in China.

Ja, dort verkaufen wir tatsächlich viel. Und das ohne Werbung. Ich halte Werbung für Manipulation. Ich habe ein politisches Gewissen. Im Übrigen trägt auch Präsident Hollande agnès b.

Und auch Uma Thurmann in "Pulp Fiction". Sie hatten immer wieder Kontakte zur Filmwelt.

Und ich habe auch selbst Kurzfilme gedreht. Ich filme seit Jahren meine amerikanischen Freunde, die jetzt so berühmt geworden sind. Den Fotografen Ryan McGinley und den Filmemacher Harmony Corinne, etwa.

Sie haben lange Zeit junge Künstler unterstützt, doch selbst hat man sie ziemlich alleingelassen bei der Finanzierung diese Films.

Nun, eine Geschichte von Inzest macht allen Angst.

Welche Künstler haben Sie beeinflusst?

Ich liebe Godard, und ich schätze Michael Haneke. sehr. Sein Film "Bennys Video" war visionär.

Musik spielt eine wichtige Rolle in Ihrem Film – von Vivaldi bis Sonic Youth.

Ich bin in der Nähe eines Kinos aufgewachsen, die Filmgeräusche haben mich schon als Kind geprägt. Musik und Sound ist essenziell für mich. Natürlich hat der Film auch sehr viel mit mir zu tun. Das Klassische hab ich von meinen Eltern, die hörten immer Mozart. Und der Rock kommt von Sonic Youth. Man kann keinen Film machen, ohne darüber zu sprechen, was man selbst mag. Ich stehe 100-prozentig zu diesem Film.

Zur Person: Modemacherin und Mäzenin

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1975 eröffnete agnès b., geboren im November 1941 in Versailles in der Nähe von Paris als Agnès Troublé, ihr erstes Geschäft in Paris. Heute sind es weltweit 272 Stores. Kleider für das ganze Leben wolle sie machen, sagte sie damals. Auch heute noch lautet ihr Motto: „Ich mache keine Mode, ich mache Kleidung.“ Diesem Nachhaltigkeitsmotto, noch dazu Made in France, folgen nach eigener Aussage u.a. der französische Präsident François Hollande und Placebo-Sänger Brian Molko, der einst für agnès b. modelte. Quentin Tarantino ließ Filme wie „Reservoir Dogs“ und „Pulp Fiction“ von agnès b. ausstatten – Uma Thurman und John Travolta tanzten ihren berühmten Twist in französischem Design. Auch David Lynch mag die Entwürfe der Designerin, die sich selbst nicht Künstlerin, sondern „Stilistin“ nennt, am und abseits des Filmsets.

Troublé, die an der École des Beaux-Arts in Versailles studierte, stellt in ihrer Pariser Galerie neue Talente aus. Sie fördert Künstler wie den Filmemacher Harmony Korine und hat Gaspar Noés Film „Irréversible“ finanziert. Aus ihrer Ehe mit dem Verleger Christian Bourgois ( ’07), der Salman Rushdies „Satanische Verse“ in Frankreich herausbrachte, stammt u. a. ihr Sohn Etienne, der heute mit ihr das Unternehmen führt. 2000 wurde agnès b. zum Ritter der Ehrenlegion ernannt.