Kultur

Ein neuer Wunder-"Ring"

Richard Wagners "Ring des Nibelungen" ist immer auch ein Kraftaufwand - nicht nur für den Dirigenten, die Musiker und die Sänger, sondern auch für das Publikum. Dieses reagierte nach dem letzten Ton der "Götterdämmerung" mit einer Euphorie, wie sie in der Wiener Staatsoper schon lange nicht mehr zu erleben war. Und nicht wenige verließen weitere 32 Minuten später, den Künstlern Standing Ovations erbracht habend, das Haus mit dem Gefühl: Schade, dass es aus ist und der "Ring" mit 15 Stunden reiner Musik morgen nicht noch einmal beginnt. So sieht künstlerischer Ausnahmezustand in der Welthauptstadt der Musik aus.

Verantwortlich für diesen Triumph ist zunächst Christian Thielemann. Der Kapellmeister aus Berlin ist in diesem Fach eine zur Zeit unübertreffliche Größe.
Seine erste (und vorerst leider auch letzte) "Ring"-Interpretation und -Gestaltung in Wien, mit dem philharmonischen Staatsopernorchester, wird im Gedächtnis bleiben - in jener Hirnregion, wo die Meister-"Ringe" gespeichert sind. Neben dem Bayreuther "Jahrhundert-Ring", inszeniert von Patrice Chereau und dirigiert von Pierre Boulez (1976). Neben der Einspielung von Sir Georg Solti mit den Philharmonikern in den Sofiensälen (1958 - 1965). Manche werden Karajan dazuzählen. Oder Furtwängler. Oder Joseph Keilberth mit dem ersten kompletten Stereo-"Ring" von 1955. Schon an dieser Auswahl sieht man, in welcher Kategorie wir uns endlich wieder befinden: In der allerhöchsten.

Einheit

Aber was macht Thielemanns "Ring" nun so herausragend: Bei diesem Dirigenten ist der gesamte Zyklus ein Stück statt vier verschiedener Opern. Thielemann entwickelt eine musikalische Dramaturgie von der intellektuelleren Vorgeschichte bis zur emotionalen "Götterdämmerung". Er setzt seine Klangvorstellungen mit dem fabelhaften Orchester ideal um. Er dirigiert nicht zwingend, was in der Partitur steht, sondern was im Moment und in diesem Haus richtig erscheint. Er setzt sich über manche Forte-Vorgabe hinweg, weil es ihm um die Gesamtbalance geht und er die Akustik des Hauses bestens versteht.

Farbenpracht

Wie er das Orchester bremst, um die Sänger ins Zentrum zu stellen, erlebt man bei keinem anderen Maestro. Er erzielt feinste Pianissimi, ohne an Klangkörper und an Farben zu verlieren. In Momenten, in denen er ins Volle greift, etwa beim Trauermarsch, scheint das Haus zu vibrieren.

Bei den Sängern legt Thielemann größten Wert auf Wortdeutlichkeit. Die Waltrauten-Erzählung (Janina Baechle) hat der Autor dieser Zeilen noch nie so gut gehört. Das ist ein weiteres Merkmal: Thielemanns Hauptaugenmerk liegt auf den komplexen Passagen, die sogenannten Hits liefert dieses wunderbare Orchester ohnehin.

Verantwortlich für den Erfolg waren neben Dirigent und Musikern, die am Ende gemeinsam vor den Vorhang traten, aber auch die Sänger. Am letzten Tag der heldische, konditionsstarke Stephen Gould als Siegfried; Linda Watson als erfreulich schön und klar singende Brünnhilde; Markus Eiche als beeindruckender Gunther; Tomasz Konieczny als zynischer Alberich; und freilich Eric Halfvarson als mächtiger Hagen, der trotz Erkältung zwei Aufzüge lang sang und im dritten zwar spielte, sängerisch aber von Attila Jun ersetzt wurde. Ähnliches hatte es einst bei der "Walküren"-Premiere gegeben, als Juha Uusitalo im dritten Aufzug auf der Bühne agierte und singend vom spontan aus einer Pizzeria geholten Oskar Hillebrandt vertreten wurde.

Der "Ring" soll bald auf Ö 1 zu hören sein, eine CD könnte es davon geben. Sehen muss man diese Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf eigentlich nicht mehr.

KURIER-Wertung: ***** von *****