Kultur

"Hool": Ein Bitchslap für den Geier nebenan

Der Proll geht um in der deutschen Kulturlandschaft: Weiße, durchtrainierte Mittzwanziger mit Trainingsanzug und Adiletten vulgo Badeschlapfen beherrschen den zeitgenössischen Hip-Hop, den der Bildungsbürger vor allem dann konsumiert, wenn er nach intensiveren Lebensentwürfen sucht: Drogen, Gewalt, rohe Sprache – bitteschön.

Mit dem Romandebüt von Philipp Winkler ("Hool", Aufbau Verlag) schickt sich der Antiheld aus der deutschen Unterschicht nun auch an, die Literatur zu erobern. In "Hool" erzählt der Hannover96-Fan und begeisterte Freizeitschläger Heiko von seiner Welt, in der sich Fleischberge nach dem Match zum Prügeln verabreden, streng nach Kodex, streng nach Ritual.

Winklers Protagonist bleibt sprachlich seinem Slang treu, der für österreichische Leser etwas beschwerlich ist, was sich aber nach ein paar Seiten gibt. In einer Welt voller Blut und Mannesehre, kombiniert mit der Subkultur grenzübergreifender Kleinkriminalität, haust ein maulfauler Loser ohne Schulabschluss in einem besseren Verschlag. Er jobbt im Fitnessstudio seines Onkels und will gemeinsam mit seinen Kampfkollegen Hannover auf die Landkarte setzen. Blutrot natürlich.

Wie zu erwarten kommt Heiko aus einem kaputten Elternhaus: "Vaddern" säuft, Mama macht sich von dannen, als er und seine Schwester klein sind. Die stärksten Momente der Geschichte Heikos sind aber nicht die Momente der Gewalt oder des Verlassenwerdens, sondern die präzisen Beobachtungen, die er mit lakonischer Trägheit über sein Umfeld anstellt. Heiko ist seelisch so ramponiert, dass auch die schrägste Situationskomik stets mit absoluter Lethargie kollidiert. Etwa als er erzählt, wie er einem – echten – Aasgeier aus dem Nebenzimmer einen Schlag mit dem Handrücken vulgo "Bitchslap" verpasst, weil der auf ihn losgeht.

Ist er es selbst?

Das deutsche Feuilleton überschlägt sich mit Deutungen über den Erstling, der es direkt auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat: Ist der 30-Jährige selbst ein Hooligan? Eine Art Savant des gesellschaftlichen Abschaums? Bisher tat er wenig, um solche Spekulationen zu zerstreuen. Fix ist auch, dass er wie sein Protagonist Heiko ein Fan von Hannover 96 ist. Und ein Fotoshooting mit dem Spiegel absolvierte er jüngst in Adiletten.

Philipp Winkler kommt literarisch am Ehesten einem deutschen Chuck Palaniuk gleich, jenem US-Undergroundliteraten, der unter anderem "Fight Club" geschrieben hat.

Hier wie dort prägen liebevolle Einfälle das Buch – bei "Hool" etwa der Geier, der im Nebenzimmer lebt, weil Heikos Vermieter illegale Tierkämpfe veranstaltet. Und wie bei Palaniuk schreit der intensive Stoff nach einer Verfilmung, nach der wohl sofort eine Bühnenfassung um die Ecke biegen wird.

Hooligans sind abstoßend-faszinierende Außenseiter der westlichen Gesellschaft: Muskelbepackte Outlaws, die sich nach abgesprochenen Regeln auf abgeschiedenen Landstrichen verabreden, um einander für ein paar Minuten den Körper zu Brei zu schlagen. Dafür haben sie aber einen handgefertigten Mundschutz dabei – Straßenadel verpflichtet.

Warum tun die das? Winkler vermeidet jegliche Psychologisierung der Szene, sondern konzentriert sich auf deren Adrenalin: "Jedenfalls fühlt es sich so an, als würde im Bauch etwas zu schweben beginnen. Als ob der Magen mit Helium gefüllt wäre und von unten gegen die Lungenflügel drückt." Lesenswert.

Philipp Winkler: "Hool". Aufbau Verlag. 310 Seiten. 19,95 Euro.