Kultur

Ein bisschen Psycho

Seine Heimat Algerien blieb für den im finsteren Paris stets Unglücklichen ein idyllischer Sehnsuchtsort, der den "Sommergeruch der algerischen Erde" barg.

In Texten wie "Hochzeit des Lichts" und "Heimkehr nach Tipasa" schrieb Albert Camus Hymnen an die Sonne und das Meer. Im Drama "Das Missverständnis", entstanden 1944 in Paris während der deutschen Besatzung, ist es die Figur der Schwester, die, verbittert von vergeblichem Verlangen nach dem Meer, zur Mörderin wird. Wie sehr sie diesen kalten Kontinent hasst! "Meine Geduld für Europa ist zu Ende!". Sie will fort hier und der Fremde, der nun auftaucht, ist ein Mittel zum Zweck.

Gemeinsam mit ihrer Mutter wird sie ihn, wie alle Gäste, die bisher in der armseligen, an "Bates-Motel" aus dem Film "Psycho" erinnernden Pension aufgetauchten, ermorden und die Leiche ins Wasser werfen. Die Mutter wird zu spät erkennen, wer der mysteriöse Gast war: Ihr verlorener Sohn, den sie nach 20 Jahren Abwesenheit nicht erkannte. Nach Jahren der inneren Leere empfindet sie angesichts dieser Entdeckung wieder so etwas wie Schmerz. Ihre Konsequenz: Selbstmord.

Die Abwesenheit Gottes

Der schicksalsträchtige Dreiakter "Das Missverständnis" ist, auch abgesehen von der Idealisierung des Mittelmeerraumes und dem Hass auf Europa, eine Quintessenz von Camus’ Leitmotiven: Die Abwesenheit Gottes, die Absurdität der menschlichen Existenz, die innere Leere.

Man könnte folgern: Es ist nichts als eine logische Konsequenz, diese anhand von Puppen und starren Masken darzustellen.

Andererseits: Wer das behauptet, der hat Nikolaus Habjans Puppen noch nicht gesehen. Die Gestalten, die der junge Grazer kreiert und auf der Bühne führt, sind trotz ihrer vermeintlichen Starre zutiefst berührend. Sie können alles ausdrücken. Liebe, Hoffnung Schmerz. Nichts ist so abgründig wie ein Gesicht, in das sich alles hinein interpretieren lässt.

Habjan inszenierte Camus’ Drama des Heimkehrers ursprünglich im Schauspielhaus Graz. Nun ist die für den Theaterpreis NESTROY nominierte Tragödie im Volkstheater zu sehen.

Der 28-jährige Puppenspieler und Musiktheater-Regisseur schafft eine eindringliche Atmosphäre. Das Bühnenbild ist eine Schräge, auf der, einem Puppenhaus gleich, die Pension thront. Auf und unter dieser Schräge führen drei Schauspieler (Habjan selbst, Seyneb Saleh, Florian Köhler) die lebensgroßen Puppen. Habjans Trick ist, dass er keinen hat: Als Puppenspieler versucht er erst gar nicht, sich zu verstecken. Die magere Mutter mit ihren Skelettfingern, die verhärmte, zu früh gealterte Tochter und der suchende Sohn, der nicht erkannt wird: die Puppen sind derartig fesselnd, dass man den Spieler dahinter völlig vergisst. Ein Maskenmann, dargestellt von verschiedenen Schauspieler, wird die leblosen Puppen am Ende lapidar in den Schrank hängen, während aus einem alten Plattenspieler Musik von gestern tönt.

Eine schöne Metapher für die Bedeutungslosigkeit der menschlichen Existenz.

KURIER-Wertung: