Dorfer: "Mir ist viel zugeflogen"
Von Birgit Braunrath
Er spricht nicht gern über Persönliches. Dann schauen wir doch einfach alte Fotos an und reden über all jene, die Alfred Dorfer in 25 Jahren verkörpert hat - eine Werkschau in Bildern, passend zur offiziellen "Werkschau", die in zwei Wochen erscheint.
Dorfer sieht sich in "MA 2412" und strahlt: "Der Herr Weber!" Das klingt liebevoll, fast nach Sympathie für den Ungust'l vom Amt? Er schmunzelt: "Es gibt die Plattitüde, dass man nicht spielen kann, was nicht in einem steckt." Dann das Foto aus "Alles Gute" mit der Riesenbrille: "Da war ich ein Lehrer, das war der Wunsch meiner Mutter. Aber ein ziemlich flippiger Lehrer." Danach ein stocksteifes Werbefoto mit verschränkten Armen für "heim.at": "Daran erkennt man, wie gern ich fotografiert werde, ich hasse es."
Beim KURIER-Interview lässt er sich dennoch fotografieren - und spricht über Persönliches. Als Treffpunkt hat er das Café Drechsler am Wiener Naschmarkt ausgesucht. Hier in der Nähe renoviert er gerade eine Wohnung. Eigenhändig. Die Baumarkt-Säcke, die er neben sich abstellt, bezeugen das. Aber das ist vielleicht schon zu persönlich ...
KURIER: Herr Dorfer, seit drei Jahren führen Sie im ORF-"Kulturmontag" selbst Interviews. Was macht für Sie ein gutes Interview aus?
Alfred Dorfer: Ein gutes Interview hat den Touch von einem Gespräch und ist kein reines Frage-Antwort-Spiel, bei dem man irgendwelche sehr gescheiten Fragen stellt oder die originelle Frage, die noch nie jemand gestellt hat - das ist ganz schlecht!
Demnächst kommt eine Werkschau in den Handel, die Ihr 25-jähriges Bühnenschaffen dokumentiert. Sie sind aber auch Filmschauspieler, TV-Moderator, Buchautor, Drehbuchautor, Kolumnist ...
Ich hab' mir das alles nicht vorgenommen. Die Dinge sind auf dem Weg gelegen. Ich hatte nie einen großen Plan. Und es ist nicht übertrieben, zu sagen, dass mir viel zugeflogen ist. Ich wollte Schauspieler werden, und für unser Selbstverständnis von Schlabarett waren wir damals Komödianten, die sich ihre Stücke selbst schrieben. Irgendwann waren wir in der Marke Kabarett drin, ungewollt.
Sie wollten Schauspieler werden. Ihre Mutter wollte, dass Sie Lehrer werden.
Das ist richtig. Aber ich komme aus einer reinen Pädagogenfamilie, insofern war das nicht mein erstes Ziel.
Sie dozieren gern, etwa in "Donnerstalk". Was wäre, wenn Sie heute Lehrer wären?
Dann hätte ich eine wahnsinnig starke Gewerkschaft hinter mir. (Denkt nach.) Ich wäre NIE Lehrer geworden!
Sie haben nach 25 Jahren Ihr Studium wieder aufgenommen und die Dissertation geschrieben. Was war der Anlass?
Ich bin von einer Tournee heimgefahren, hab' an mein Studium gedacht, und mir ist kein Grund eingefallen, warum ich es abgebrochen hab. Also habe ich meine damalige Dissertationsmutter, Frau Professor Haider, angerufen und gesagt: "Ich bin der, der mit dem Diss-Thema in der Hand rausgegangen und nie mehr gekommen ist. Ich würde jetzt gern weitermachen." Sie hat geantwortet: "Ja, ich warte eh noch auf Sie!"
Und Sie haben das wirklich durchgezogen. Was hat Sie daran gereizt?
Für mich war der universitäre Bereich immer wahnsinnig reizvoll. Ich hab' mich dort immer wohlgefühlt und hätte mir gut vorstellen können, dort zu arbeiten. Außerdem hatte ich nach der langen Zeit in einem - wie nennen wir's halbironisch? - in einem "kreativen Umfeld" Lust auf andere Probleme.
Können Sie sich immer noch vorstellen, im universitären Bereich zu arbeiten, angesichts der Zustände, die dort herrschen?
Ja, warum nicht? Schwierigkeiten haben mich nie wirklich abgeschreckt.
Ihr Dissertationsthema heißt "Satire in restriktiven Systemen des 20. Jahrhunderts". Im Anhang erwähnen Sie "Donnerstalk" und schildern, was die Sendung - oft ungewollt - politisch ausgelöst hat. Würden Sie einer Einladung folgen, auf dem SPÖ-Parteitag im Rahmenprogramm aufzutreten?
Ich trete nie irgendwo als Rahmenprogramm auf.
Sehr wohl aber im karitativen Bereich?
Jetzt kann man natürlich sagen, auf dem SPÖ-Parteitag aufzutreten ist auch irgendwie karitativ. Aber nur der Event-, der Ereigniskasperl sein, das wollte ich nie.
Sie unterstützen alleinerziehende Mütter finanziell ...
Ich lasse manche Gagen direkt an den Caritas-Sozialfonds überweisen. Dort habe ich eine Art Feuerwehrkonto für alleinerziehende Frauen, die von der Delogierung bedroht sind. Die Caritas verteilt das Geld.
Wieso helfen Sie ausgerechnet alleinerziehenden Frauen?
Meine Schwester und ich waren die Kinder einer alleinerziehenden Mutter, dadurch bin ich an dem Thema sehr nah dran. Ich weiß, wie viel Armut und auch Inflexibilität damit einhergeht. Das ist ein Thema, das mir offensichtlich am Herzen liegt.
Wie hat sich die Situation von Alleinerzieherinnen geändert, seit Sie ein Kind waren?
Was die finanzielle Belastung betrifft, hat sich wohl noch eine Verschärfung eingestellt. Die Ächtung der Alleinerziehenden war damals allerdings größer. Und ich wollte noch einen Satz dazu sagen - ganz ohne Pathos: Ich glaube, dass ein Satiriker, der sich nicht sozial engagiert, seinen Beruf nicht erfüllt.
Er kann ja auch nur von 20 bis 22 Uhr auf der Bühne Satiriker sein?
Wenn ich nur Teilzeitkritiker zwischen acht und zehn bin, ist das eine abgehobene Geschichte. Dann schwänze ich die Umsetzung ins Reale.
Muss man als Satiriker sein Gewissen rein halten?
Das bekommt man dann sofort unterstellt: Der befriedigt sein Gewissen. Oder: Er erhebt sich über die anderen. Davon kann hier aber gar keine Rede sein. Für mich war das immer ein Anliegen, auch als ich noch nichts verdient hab'. Meine erste Theatererfahrung war Kindertheater in Steinhof. Wir haben dort zusammen mit den Therapeuten etwas auf die Beine gestellt. Es geht doch darum, die geschützte Werkstatt des Theaterraums zu verlassen und einen Anknüpfungspunkt in der Realität zu finden.
Wir haben Ihren Fünfziger noch gar nicht erwähnt ...
Das macht gar nichts!
Ist er geheim?
Also, ich weiß, wann er ist. (Schaut suchend nach dem Kellner.) Kann ich noch einen Großen Braunen haben, bitte?
Weichen Sie aus?
Nein, gar nicht, ich hab' nur ein schwieriges Verhältnis zu Jubiläen, auch zu Silvester. Das ist dann ein bestimmtes Datum, und danach soll etwas anders sein.
Gut, dann reden wir über die Zeit davor: In einem Interview für die Süddeutsche Zeitung haben Sie die Midlife-Crisis zwischen 44 und 47 eingeordnet. Heißt das, Sie sind durch?
In dem Interview hab' ich auch gesagt, dass es zwei Arten von Midlife-Crisis gibt: die, bei der man das Gefühl hat, man hat etwas versäumt, und die, bei der man das Gefühl hat, man hat alles gesehen.
Hatten Sie selbst die Hab'-was-versäumt- oder die Hab'-alles-gesehen-Krise?
Die. Die zweite.
So im Sinne von: Was mach' ich hier eigentlich noch?
Also das ist kein Zeichen von Arroganz, das ist mir ganz wichtig! Das ist eine echte Krise. Die andere, die Ich-hab'-was-versäumt-Geschichte ist in Bewegung. Da kann ich probieren, was ich verpasst hab', da kann ich den Motorradführerschein machen, mir die Haare färben ...
Und in Ihrem Fall?
Da war einfach nur Orientierungslosigkeit. Du bist am Ende einer Straße angekommen, und dort ist es nebelig.
Wie hat sich das gelichtet?
Aus einer Eingebung heraus kam mir Rom. Ich hab' einen Film gesehen, der dort gespielt hat, und gedacht: Wieso war ich so lange nicht dort? Also hab' ich mich in den Flieger gesetzt und war dort. Das war für mich eine Rettung, eine Befreiung, dort sind Türen aufgegangen. Ich hab' Italienisch gelernt und war - auf mehrere Tranchen aufgeteilt - sicher drei Monate dort.
Sind Sie vor etwas davongelaufen?
Ein Davonlaufen war das nicht, eher ein Untertauchen.
Weil Sie dort - wie Sie einmal sagten - nur der Hotelportier und Ihr Sprachlehrer kannten ...
Ja, und das ist bis heute so geblieben. Das finde ich ungeheuer entspannend. Das ist unter anderem das Tolle an Rom.
Und niemand sagt "Danke, ganz lieb!" zu Ihnen?
Bitte ersparen Sie mir diese Frage ...
"Danke, ganz lieb!" wird Ihnen in Österreich nie ganz erspart bleiben. Viele Menschen haben hier das Gefühl: "Wir kennen einander doch vom Fernsehen!"
Dass Menschen glauben, ich seh' sie vom Fernsehen heraus im Wohnzimmer sitzen, das find' ich lustig, damit hab' ich kein Problem. Es geht eher darum, dass man nicht inkognito unterwegs sein kann, sich einfach so geben kann, wie man ist. In Rom kann ich das.
Was raten Sie Männern in der Krise?
Ich bin der Letzte, der irgendwas raten kann, denn ich hätte damals unter gar keinen Umständen einen Rat angenommen. Ich war auch nicht auf der Suche nach einem Ratschlag - egal, von wem. Ich glaube nur, dass es falsch ist, in diesem Zustand, so schwierig er auch ist, etwas mit Druck zu versuchen.
Und wo werden Sie Ihren 50. Geburtstag verbringen?
Ich weiß es noch nicht. Auf jeden Fall irgendwo in Italien.
Was war, was kommt: Dorfer auf der Bühne und im TV
Rückschau Die ersten 25 Bühnenjahre des Alfred Dorfer sind demnächst unter dem Titel "Werkschau" auf sieben DVDs als Sammelbox erhältlich - von Schlabarett bis "Badeschluss", von "Ohne Netz" bis "fremd" ...
Bühne Mit seinem aktuellen Programm "bisjetzt" ist Dorfer ab November wieder quer durch Österreich, aber auch bis München, Zürich und
Vaduz unterwegs. Am 28. Oktober tritt er vor der deutschen Community in Belgrad auf. Sofia und Lissabon sollen folgen. Getreu seinem Credo: "Für mich ist es wichtig, ein Thema anzusprechen, das, soweit die Sprache reicht, verstanden wird und alle angeht - gleich, ob in Hamburg, Bozen, Zürich oder Mistelbach."
Fernsehen Als Interviewer der ORF-Late-Night-Kulturleiste "art.genossen" trifft er beim nächsten Gespräch im Dezember auf Manfred Deix.
Die ORF-1-Kult-Comedy "Donnerstalk" läuft aus, allerdings wird es ein großes Finale mit allen Protagonisten geben. Alfred Dorfer trauert nicht: "Acht Jahre sind mehr als genug."
(Eine Zusammenfassung der Donnerstalk-Kolumnen ist im Czernin-Verlag erschienen.
Alfred Dorfer: Donnerstalk. Hrsg. von Joachim Riedl, EUR 14.90, ISBN 978-3-7076-0386-6, 120 Seiten )
Theater Derzeit schreibt Dorfer, der ursprünglich Schauspieler werden wollte, an einem Stück, das im Akademietheater uraufgeführt werden soll. Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann, der nach neuen Autoren Ausschau hält, wollte ein Stück eines österreichischen Kabarettisten. Dorfer betont aber, dass es sich "um kein Auftragswerk" handle: "Es gibt nur eine Absichtserklärung seitens des Burgtheaters, das Stück zu nehmen. Ich schreibe es, stelle es dem Theater vor, und dann wird entschieden ob sie's wollen oder nicht."
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