documenta 14 in Kassel: Sühne im Tempel der Gerechten
Von Michael Huber
Drei Bildschirme empfangen anreisende Besucher derzeit am Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe: Der mittlere zeigt die Akropolis, links laufen Debatten aus dem deutschen Bundestag, rechts aus dem Parlament in Athen.
Athen und Kassel, das sind jene Pole, zwischen denen die documenta 14 eine Achse des Guten schmieden möchte: Die Idee des künstlerischen Leiters Adam Szymczyk, die deutsche Großausstellung erstmals gleichberechtigt an zwei Orten zu zeigen, wirkte zunächst wie eine Entschuldigungsgeste gegenüber Griechenland für die von Deutschland vorangetriebene Sparpolitik.
In Kassel, wo die Schau am Mittwoch für Fachpublikum öffnete und ab Samstag Besuchern aus aller Welt offensteht, überwiegt aber die Geste der Selbstbeschuldigung: Es scheint, als möchte die documenta "dem Westen" all seine Verfehlungen vorhalten und austreiben.
Selbstgeißelung
Die Räume der Ausstellung sollten dagegen "Räume der Ungewissheit" sein, im positiven Sinn – Orte, um neue Möglichkeiten, neue Ordnungen zu denken.
Die Donald Trumps dieser Welt wird das Argument vielleicht nicht erreichen. Und jene, die bereits als Bekehrte nach Kassel kommen, könnten ein Problem damit haben, dass die Gemeinde der bislang Ausgegrenzten hier mit einem solchen Dominanzgestus auftritt, dass man sich seines Nicht-Ausgegrenztseins beinahe schämt.
Zugleich droht der zur Schau gestellte Wille zur Gerechtigkeit teils in die Selbstgerechtigkeit zu kippen.
Schwarze Reinigung
So senkt sich der Blick also vor einem Vorhang aus Rentierschädeln von Máret Ánne Sara, die an eine mutwillige Schlachtung erinnern sollen, die die norwegische Regierung einst auf Kosten der Volksgruppe der Samen anordnete. Eine Frau mit Bauchladen bietet schwarze Seife an – es ist eine Aktion des Nigerianers Otobong Nkanga, der die Verkäuferin angewiesen hat, mit Kunden über Konsumgewohnheiten und Warenwege zu sprechen. Die im Reinigungswerkzeug enthaltene Kohle ist in ihrer Symbolik wohl kein Zufall. Auch die Eisenbarren, die Dan Peterman in der Schau platzierte, wollen über Recycling und Wertschöpfung sprechen.
Viele neue Orte
Im Zentrum ist dagegen Griechenland eingekehrt: Der "Parthenon of Books" der Argentinierin Marta Minujín ist zweifellos das Wahrzeichen dieser documenta, auch wenn die Menge an bisher gespendeten, einst verbotenen Büchern bislang nicht ausreichte, um die Struktur, die nach Originalmaßen des Tempels auf der Akropolis errichtet wurde, ganz zu bestücken.