Die Rolling Stones kündigen Album an: „Wir waren ein bisschen faul“
Es ist heiß im „The Old Ship“-Pub in Hackney im Nordosten von London. Draußen hat es 35 Grad, aber drinnen denkt keiner an ein kühles Bier. Das Pub ist voll mit monströsen Fotoausrüstungen, TV-Kameras und schweren Kabeln. Genauso gespannte wie freudige Aufregung liegt in der Luft.
Hier holen sich nämlich über 1200 Journalisten, die aus allen Teilen der Welt eingeflogen wurden, ihre Einlassbänder für die Pressekonferenz der Rolling Stones im benachbarten „Hackney Empire“-Theater. Dabei wird die Band bekannt geben, dass ihr neues Album „Hackney Diamonds“ am 20. 10. erscheint. Und das ist ein Event, das ein Entrée wie bei einer Awards-Gala nach Hackney bringt. An der Seite des Theaters, am Rathausplatz ist ein roter Teppich ausgelegt.
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Er ist gesäumt von einer Empore für die Fotografen und umgeben von weitläufigen Absperrungen, dass Sänger Mick Jagger und die Gitarristen Keith Richards und Ron Wood mit Autos reinfahren können und nicht in der Menge aussteigen müssen.
Wir Journalisten mussten einen strikten Geheimhaltungs-Vertrag unterschreiben. Nach einer Anzeige in der Lokalzeitung Hackney Gazette, mit Zitaten aus Rolling-Stones-Songs und einem winzigen Zungenlogo kamen aber Ende August die ersten Gerüchte über diese Pressekonferenz auf.
Deshalb drängeln sich auch viele Fans in Rolling-Stones-Tour-T-Shirts um den zehn Meter hohen Schwenkkran einer Kamera beim roten Teppich. Ein Japaner in einem „Tokyo 1990“-Shirt schaut unglücklich, weil die Fotografen-Empore so hoch ist, dass er wohl nur flüchtig einen Blick auf seine Idole ergattern wird.
In dem 1901 erbauten Theater, das überreich mit Ornamenten, Gold und rotem Plüsch geschmückt ist, tauschen die Journalisten derweil bei Getränken und Cupcakes (mit einer widerlich süßen Buttercreme mit dem Stones-Logo oben drauf) Anekdoten über ihre Erlebnisse mit der Band aus.
Talk-Show-Host Jimmy Fallon wird die Fragen stellen und erzählt vorab, dass die Stones 250 Millionen Alben verkauft haben und die ultimative Rockband sind. Dass das jeder hier weiß, zeigt der Jubel, mit dem Jagger, Richards und Wood begrüßt werden – wenn die drei auftauchen, bleiben auch langdienende, abgebrühte Journalisten nicht mehr cool.
Der Informationsgehalt der Veranstaltung ist eher gering. Zum Titel des Albums sagt Richards: „Wir haben hin und her geschwenkt zwischen ,Hit & Run’ und ,Smash & Grab’. Dazwischen ist uns ,Hackney Diamonds’ eingefallen – und wir sind halt eine Londoner Band.“ Jagger erklärt weiter, dass das ein Slangausdruck dafür ist, „wenn dir in der Nacht deine Windschutzscheibe zerbricht und die Splitter rumfliegen.“
Lustig wird es, als Fallon fragt, wie lange sie dafür gebraucht haben: „Wir haben das sehr schnell gemacht“, sagt Ron Wood – ungeachtet der Tatsache, dass die Fans 18 Jahre darauf gewartet haben. Aber Jagger erklärt, dass sie halt viel auf Tournee und dazwischen vielleicht auch ein bisschen faul waren. Aber als sie sich die Deadline Valentinstag gesetzt hatten, ging es schnell: 23 Songs haben sie im Dezember und Jänner aufgenommen. Zwölf davon sind auf „Hackney Diamonds“, aber vorgespielt wird hier nur das Video zur Single „Angry“, die heute erscheint.
Auf zwei Songs sind die letzten Aufnahmen, die die Stones mit dem 2021 verstorbenen Drummer Charlie Watts aufgenommen haben. Die heißen „Mess It Up“ und „Live By The Sword“, wobei auf Letzterem auch der ausgestiegene Bassist Billy Wyman zu hören ist, sodass die legendäreste Besetzung noch einmal vereint auf einem Song ist. Richards fügt hinzu, dass der Übergang zum Arbeiten mit dem neuen Drummer Steve Jordan nur deshalb so einfach war, weil Watts schon vor Jahren gesagt hatte, dass der sein Nachfolger sein soll.
Fallon liest die Namen der Songs vor, aber die Musiker geben nur spärliche Kommentare dazu ab. „Es wird auch ein paar Balladen und ein bisschen Country auf dem Album geben“, sagt Jagger. Und Richards, der den Song „Tell Me Straight“ singt, gesteht lachend, dass er keine Ahnung hat, worum es dabei geht.
Überhaupt wird viel gelacht. Einmal beginnt Fallon „Off The Hook“ zu singen und Jagger fällt sofort mit ein. Der Frontmann wirkt mit seinen 80 Jahren überhaupt wie ein quirliger Teenager, der nicht weiß, wo er mit seiner Energie hin soll. Okay, da sind die tiefen Furchen in seinem Gesicht. Aber da ist auch das volle Haar und die Spaghetti-Figur.
Immer wieder springt er auf – zum Beispiel als Komödiant Fallon ihn imitiert, und er sich gar nicht darin wieder erkennt. Jagger ist der Lauteste und Aufgeweckteste von allen, setzt immer noch einen besseren Witz drauf, wenn Richards einen gemacht hat.
Ron Wood ist eher still, antwortet nur, wenn Fallon ihn anspricht, dann aber ebenfalls mit viel Humor. Es ist schön, zu sehen, wie gut sich die drei vertragen. Obwohl sie sagen, dass sie nur so lange zusammen sind, weil sie wenig miteinander reden, wirken sie wie die besten Freunde, die genießen, was sie an der Band haben.
Eine Tour zu „Hackney Diamonds“ kündigen sie zwar nicht an. Aber ihr vitales Auftreten und die Kraft von „Angry“, einem typischen Stones-Song mit sofort einnehmender Melodie, lassen niemanden im Hackney Empire daran zweifeln, dass die bald angekündigt wird.