Kultur

Wohin das "mir san mir" führt

Kriege", wird der Pastor beim Feldgottesdienst sagen, "sind Gottesurteile".

Die Szene spielt 1917, als der Krieg schon weit fortgeschritten ist. In Europa sind die Lichter ausgegangen, die "mir san mir"-Rufe, das "Serbien muss sterbien"-Grölen wird leiser. Die sterbenden Soldaten verfluchen den Kaiser, aber die Kriegsberichterstatter delektieren sich noch immer an den "authentischen Bildern", die das Schlachtfeld bietet. Auch wenn die Kriegstreiber meinen, die amputierten Füße der Soldaten kämen vom Rauchen – man ist bereits an einem Punkt angelangt, wo die Selbstlüge über die Sinnhaftigkeit dieses Krieges immer schwerer fällt. Doch ein bisserl was an Selbstbetrug geht immer, schließlich seien die Österreicher gesegnet mit Charme und "Je ne sais quoi", dem "gewissen Etwas". Es fehle bloß an diesem Talent, das den Deutschen eigen sei ... der "Urganisation". Mehr davon, und man könne den Krieg noch gewinnen. Wenn nicht, müsse man die Vorteile für den Fremdenverkehr sehen ... auch Soldatenfriedhöfe ließen sich touristisch nutzen.

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Messerscharf

Karl Kraus’ Realsatire "Die letzten Tage der Menschheit" wird seit Donnerstag im Volkstheater gezeigt. Regisseur Thomas Schulte-Michels hat eine eigene Fassung erarbeitet und sie erinnert daran – das ist der große Verdienst der ganzen Aufführung– wie genial und wie heutig Kraus’ Text ist. Messerscharf entlarvt er Dummheit und Bösartigkeit, die sich hinter gemütlichen Gstantzln und redseligen Doppelconférencen versteckt.

In eindreiviertel Stunden gelangt man hier von der hetzerischen Kriegseuphorie zum Weltuntergang, als der Kaiser als überdimensionaler Hampelmann über der Bühne hängt. Fünf Akte, vom Kriegseintritt 1914 bis zum Ende 1918, deklinieren den Schrecken durch. Wo bei Kraus der eingangs bemühte Gott zuletzt "Ich habe es nicht gewollt", sagt, bleiben hier der Reporterin Alice Schalek und dem verzweifelten Soldaten die letzten Worte. Besser: die letzten Taten: Der Soldat erschießt sich. Sie hatte zuvor noch wissen wollen, wie er sich denn so gefühlt habe auf dem Schlachtfeld. Man versteht, warum die echte Schalek gerichtlich gegen Kraus vorging.

Schulte-Michels gelingt ein schlüssiger Abend, dem stellenweise Schärfe fehlt. Kraus wurden ein paar Zähne gezogen. Die Bomben sind Schweizerkracher und manche Akteure wollen doch lieber Waldbrunn und Farkas sein. Großartig die Kostüme (Tanja Liebermann): Die Schauspieler stecken in langen Unterhosen – wir befinden uns in einem Irrenhaus, wie es auch die Rahmenhandlung andeutet.

Die Ensembleleistung ist gut, mit einigen Schwächen und etlichen Höhepunkten: Schön irr ist Marcello de Nardo als Schalek, die aussieht wie eine Mischung aus Mary Poppins und Hexe von Oz. Ein kurzer, besonders eindringlicher Moment gelingt Haymon Maria Buttinger als Vater, der nach seinem gefallenen Sohn fragt. Sein verzweifeltes Nachfragen "Jo, oba", geht durch Mark und Bein.

KURIER-Wertung: