Kultur

Der Roman macht mehr Gänsehaut

2011 beeindruckte die Kärntner Lyrikerin Maja Haderlap mit einem Auszug aus ihrem Roman "Engel des Vergessens" die Bachmann-Jury. Der Siegertext, später als großartiger, bildgewaltiger Roman veröffentlicht, handelt von den Schreckensbildern der Kindheit der Kärntner Slowenin. Für das Akademietheater hat die frühere Chefdramaturgin am Stadttheater Klagenfurt nun gemeinsam mit Regisseur Georg Schmiedleitner eine Bühnenfassung dieses Erinnerungsromans erarbeitet.

1961 in Bad Eisenkappel geboren, beschreibt Haderlap in ihrem autobiografischen Roman das Aufwachsen in einem Gebirgsdorf an der slowenischen Grenze. Die Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte ist zugleich eine Auseinandersetzung mit der Geschichte der Kärntner Slowenen.

Abgründe

Für idyllisches Landleben zwischen Bienenzüchten und Jagen bleibt der Hauptdarstellerin ("Ich 1" und "Ich 2", Alina Fritsch und Alexandra Henkel) nicht viel Zeit, die Last der Vergangenheit tritt nach und nach zutage. Zwischen Streitereien der grantigen Mutter (Petra Morzé) und des meist betrunkenen Vaters (Gregor Bloéb) erkennt das Mädchen zusehends die Abgründe ihrer Familie. Doch was im Roman dank Haderlaps wunderbarer Sprache eindringlich gelingt, klappt auf der Bühne nicht immer. Das Bühnenbild von Volker Hintermeier beeindruckt stellenweise: Schwebende Bretterzäune sind einmal Wald, dann wieder KZ, Lichtspiele machen anfangs friedliche Bienen zum bedrohlichen Schwarm. Die Livemusik von Matthias Jakisic überzeugt zwischen slowenischer Folklore, Partisanenlied und Elektrobass.

Partisanenkampf

Doch kein Bretterwald, keine aufwendigen Lichtinszenierungen und keine E-Gitarren können diese gewaltige Familien- und Volksgeschichte so wiedergeben, wie es eben die Lyrikerin Haderlap kann. Großmutter und Großtante (Sabine Haupt) waren im KZ, der Vater wurde als Zehnjähriger gefoltert und hat im Partisanenkampf der Kärntner Slowenen grauenhafte Dinge erlitten: Auf der Bühne ist all das oft einfach Nacherzählung, im schlimmsten Fall mit Schulbuchtonlage.

Wie diese dramatischen Erzählminiaturen dennoch auf der Bühne funktionieren können, zeigen Höhepunkte mit Elisabeth Orth als Großmutter, die, irgendwo zwischen abgefeimt und schrullig, noch am Totenbett Anweisungen über richtige Haushaltsführung gibt. Grotesk-komisch: Die geliebte Enkelin muss ihr aus ihrem KZ-Tagebuch vorlesen. Arglos wie aus einem Märchenbuch liest das Kind vom Lagerkommandanten, von den SS-Schwestern, den Gestapobeamten. Die Großmutter korrigiert: "Dass heißt GE-STA-PO!"

Zentral ist die tragische Figur des Vaters. Gregor Bloéb scheint zu Beginn einfach zu stark, zu körperlich präsent für diese Rolle. Und er spricht irritierend stark bundesdeutsch. Zusehends lebt er sich ein in seine Rolle als nervliches und meist besoffenes Wrack und schafft Gänsehautmomente: Als er seiner heranwachsenden Tochter endlich, stockend, schildert, was ihm als Bub widerfahren ist, wie ihn die Polizei als Zehnjähriger gefoltert hat, da stockt einem zwischendurch schon der Atem.