Kultur

Das Privatleben der Schmetterlinge

Tränenüberströmte Gesichter, bedeckt mit Schmetterlingen, die sich an dem salzigen Sekret laben. Es sind starke, sinnliche und zugleich auch skurrile Bilder, die Andrea Grill in ihrem neuen Roman "Das Paradies des Doktor Caspari" evoziert.

Das Naturschauspiel Tränen trinkender exotischer Schmetterlinge kennt man bei Krokodilen oder Schildkröten. Die Biologin und Schmetterlingsforscherin Andrea Grill macht in ihrem Roman menschliche Sekrete zum Objekt der Insekten-Begierde: Der Wiener Biologe Franz Wilhelm Caspari züchtet bei ihr auf einer Insel in Indonesien die vermeintlich ausgestorbene Nachtfalter-Art "Calyptra lachrypagus", deren Nahrung aus menschlichen Tränen besteht.

Weil auf der Insel grundsätzlich wenig geweint wird, besucht Caspari Begräbnisse und inszeniert Fußball-Matches mit schlechtem Ausgang, um so die Tränengewinnung zu maximieren.

Tränen spenden Leben

Ausgerechnet unter der Obhut von Casparis leicht gerührter Haushälterin, die mit Forschung nichts am Hut hat, vermehren sich die Falter am allerbesten. (Tatsächlich ist belegt, dass die Qualität emotional geweinter Tränen eine andere ist als jener, die beim Zwiebelschneiden produziert werden: Erstere enthalten Schmerzmittel.)

Und so werden die Tränen der Haushälterin zum Dreh-und Angelpunkt der Geschichte. Sie retten das Experiment des Forschers, der sich für unabkömmlich hält. Ein dramaturgisch geschickter literarischer Schachzug.

Neben Tränen und Schmetterlingen ist der Tod auch bei Selbstmordversuchen der Protagonisten ein Hauptdarsteller dieses ungewöhnlichen Romans: Ein Schlüsselsatz lautet "Der Tod erleichtert mir das Leben".

"Das war von Anfang ein Grundthema", erzählt Andrea Grill im KURIER-Gespräch. "Einerseits geht Forscher Caspari regelmäßig zu Begräbnissen, um seine Schmetterlinge dort zu füttern. So hat jeder Tod etwas Gutes. Darüber hinaus glaube ich, dass es etwas sehr Beruhigendes hat, zu wissen, dass alles einmal ein Ende hat. Es wäre doch schrecklich, wenn immer alles so weitergehen würde."

Die Literatur begleitet die gebürtige Bad Ischlerin, die Sprachen und Biologie studierte und in Sardinien Schmetterlinge erforschte, ebenso lang wie die Naturwissenschaft. Sätze wie "Wenn Gedanken Büschel Gras fressen ..." bringen das zum Ausdruck. Auch ihr Vergleich der Beziehung zwischen Forscher und Faltern mit einer "Ehe wie bei Dostojewski" ist bezeichnend.

"Große Gefühle, endlose Missverständnisse, Enttäuschungen, Erklärungsversuche, Geldknappheit – und all das zu niemandes Nutzen, weder für mich noch für andere", so beschreibt Grill den Alltag der Schmetterlingsbeobachtung.

Falter-Forschung

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Sie selbst kennt diesen Alltag gut. Zwar steht die Literatur momentan im Vordergrund, parallel arbeitet Grill aber weiter als Wissenschaftlerin. Zurzeit untersucht sie die Partnersuche bei Faltern. Ihre Forschungsergebnisse sind auch in Casparis Paradies eingeflossen. Die von ihm untersuchte Schmetterlingsart ist zwar erfunden. Aber Tränen trinkende Falter gibt es durchaus.

Und so geht es auch um die Frage: Gibt es Wesen, für die wir Menschen unabkömmlich sind?

Pflanzen und Tiere sind bei Grill gleichberechtigte Protagonisten. "Das ist aus meinem Leben gegriffen", sagt sie. "Als ich in Sardinien geforscht habe, war ich tagelang nur mit Schmetterlingen zusammen. Da entwickelt man durchaus eine Beziehung. Irgendwann weiß man viel über das Privatleben der Schmetterlinge."

KURIER-Wertung: