Kultur

"Das Leben gehört sowieso mir"

International anerkannte Medienkünstlerin und Wegbereiterin feministischer Kunst, kämpfte die gebürtige Linzerin VALIE EXPORT bei uns lange um Anerkennung. Am 17. Mai wird sie 75.

KURIER: Sie waren international längst ein Star, bevor Sie das auch in Österreich wurden.

VALIE EXPORT: Ja, das ist erst in den letzten Jahren passiert. Vorher sind zumeist immer die selben Aktionen abgehandelt worden, aber nichts darüber hinaus.

Sie sprechen von Werken wie dem Tapp- und Tastkino oder der Fotoserie Aktionshose: Genitalpanik. Fühlen Sie sich darauf reduziert?

Ja, natürlich. Das waren wichtige Sachen, aber ich hab so vieles parallel gemacht. Filme, Fotografie. Aber in Österreich wurde ich lange Zeit immer darauf reduziert.

Allerdings sind Sie auch international damit zitiert worden. Von Marina Abramović etwa. Wie sehen sie denn die zeitgenössischen Künstlerinnen?

Nun, bei vielen sehe ich natürlich, woher die Arbeiten kommen.

Fühlen Sie sich geehrt oder fragen Sie sich, ob die keine eigenen Ideen haben?

Weder noch. Dass meine Arbeit gültig ist und dass man daraus schöpfen kann, ist ja sehr schön. Ich hab ja auch von Marcel Duchamp und der älteren Generation gelernt. Was mich irritiert ist, dass diese Künstlerinnen und Künstler dargestellt werden, aber niemandem einfällt, dass es ja schon Vorbilder gibt. Da hat die Kunstauseinandersetzung schuld daran.

Ein wesentlicher Aspekt Ihrer Arbeit ist der Feminismus. Ist es nicht auch traurig, wie gültig Ihre Aussagen dazu noch immer sind?

Ja. Es war auch in den Siebziger Jahren schon klar, dass das nicht sehr schnell gehen wird mit dem gesellschafts- und realpolitischen Feminismus. Es ist aber trotzdem bedrückend. Auch, dass unsere Gesellschaft den Feminismus so verschluckt. Ein simples Beispiel: In den 70ern hat man gesagt, Künstlerin, Mutter und Ehepartnerin zu sein ist reine Ausbeutung. Heute ist es ein Role-Model. Du musst das als Frau machen. Alles leisten, alles können. Es gibt wenig Frauen, die das tatsächlich schaffen. Als ich jung war, war vieles restriktiver, aber ich hatte das Gefühl, dass man trotzdem mehr Freiheit hatte. Man konnte den Anspruch der Leistungsgesellschaft negieren.

Finden Sie die Kunstwelt besonders sexistisch?

Nicht mehr als andere Lebensbereiche, aber sie ist sehr regulativ. Es geht ums Namedropping, wo meist nur die Männer vorkommen. Und in Rankings geht es nicht mehr um die Qualität eines Kunstwerks alleine, sondern darum, auf wie vielen Messen, Ausstellungen und zunehmend auch Auktionen ein Künstler, eine Künstlerin ist.

Anlässlich des jüngsten Picasso-Rekords (179,3 Millionen für "Femmes d"Alger", Anm.) schrieb ein Kommentator, das habe nichts mehr mit Kunst zu tun.

Nein, das ist ein Wirtschaftsfaktor, Kunstindustrie.

Verfolgen Sie, welchen Marktwert Ihre Kunst hat?

Nein. Es kommt mir aber manchmal unter.

Sie haben mit dem Wiener Aktionismus zu tun gehabt, sich aber immer davon distanziert.

Ja, weil deren Frauenbild mir nicht gepasst hat. Das war sehr monomanisch. Selbstbestimmung der Frau war ihnen wahrscheinlich ein Fremdwort.

Haben Sie eigentlich nie Angst gehabt? Beim Tapp- und Tastkino zum Beispiel?

Im konkreten Fall war die Stimmung sehr gut. Aber ich habe damals viele Drohbriefe bekommen. Einmal haben Männer von der Telefonzelle vor meinem Haus angerufen und angekündigt, sie kommen jetzt herauf und brechen die Tür auf. Es gab immer wieder Totenkopfzeichnungen an meiner Wohnungstür. Und die Arbeiterzeitung hat sogar meine Telefonnummer veröffentlicht. Also, da bekommt man schon Angst.

Es gibt ein Gedicht von Ihnen, in dem sprechen Sie vom "Leben, das mir gehört". Hat Ihnen die Kunst dieses Leben verschafft?

Das Leben gehört sowieso mir. Durch die Kunst habe ich es geschafft, es auch teilweise darzustellen.

Sie haben in Ihrer Medienarbeit so viel vorausgesehen, waren wahrscheinlich einer der ersten Menschen, die Selfies gemacht haben, schon als Teenager. Woher hatten Sie das?

Naja, ich hab mir damals einen Fotoapparat ausgeliehen. Und es gab in Linz nicht so viel Interessantes zu fotografieren. Da hab ich eben mich fotografiert.

Ist das Älterwerden von Belang?

Ja. Der Körper und die Energie des Körpers werden älter. Man muss sich die Dynamik erhalten. Das zweite ist die Zeit. Ich will noch so viel machen, privat und künstlerisch, aber die Zeit wird immer kürzer. Damit kann ich sehr schwer umgehen.

Die radikale Performerin und Medienkünstlerin wird 75

Sie ist Pionierin der konzeptuellen Medien-, Performance- und Filmkunst. Was VALIE EXPORT, am 17. Mai 1940 als Waltraud Lehner in Linz geboren, im Bereich Video, digitaler Fotografie, Installation, Body Performance sowie Spiel- und Experimentalfilm geschaffen hat, wäre heute noch bahnbrechend. Lange war sie bei uns vor allem durch ihr Frühwerk bekannt: Das TAPP und TASTKINO (mit Peter Weibel) oder die im Schritt offene „Aktionshose Genitalpanik“. Hintergrund war der Ausdruck weiblicher sexueller Selbstbestimmung. International sind ihre Pionierleistungen längst in den kunsthistorischen Kanon eingegangen, sie stellte u.a. im Pariser Centre Pompidou, im New Yorker MOMA und bei der Biennale in Venedig aus.
Im April wurde durch den Ankauf des Vorlasses von VALIE EXPORT (die Großschreibung gehört zum Namen) der Grundstein für ein nach ihr benanntes Center für Medien- und Performancekunst in Linz gelegt. ORF2 zeigt am 18. 5. (22.30 Uhr) Claudia Müllers Dokumentation „Ikone und Rebellin“, u.a. mit Marina Abramović, Kiki Smith und Elfriede Jelinek.