Kultur

Christ, der Retter, ist ... wo genau?

„Jesus ist nicht leicht zu verkaufen“, sagt Alexander Parish zu Beginn des Films „The Lost Leonardo“. Dem grauhaarigen Kunsthändler, der 2005 ein eher unscheinbares Bild von Christus als „Erlöser der Welt“ („Salvator Mundi“) in einer Auktion in New Orleans aufspürte, gelang es trotzdem. Der Rest ist, wie es so heißt, Geschichte.

Bereits oft wurde berichtet, wie aus dem Andachtsbild, das bei besagter Auktion 1.175 US-Dollar kostete, das teuerste Kunstwerk der Welt wurde. Doch wie die Evangelisten Markus, Matthäus und Lukas das Leben Jesu aus ähnlichen Perspektiven schilderten, trägt auch die Geschichte des „Salvator Mundi“ mehrere Erzählungen und Interpretationen.

Denn die Transformation des Bilds von einem anonymen Gemälde zum „letzten Werk Leonardo da Vincis in privater Hand“ macht nicht nur die Mechanismen der Kunstwissenschaft und des Kunstmarkts sichtbar. Sie gibt auch Einblicke in die Reichweiten und Limits globalen Reichtums und erzählt vom Wunsch heutiger Machtmenschen, Geltung zu erlangen.

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Dokus

„The Lost Leonardo“ von Andreas Koefoed, der seit gestern in Österreichs Kinos läuft, ist bereits der zweite Versuch, die Story im Doku-Format zu fassen. Der Franzose Antoine Vitkine hatte „Der letzte Leonardo – das teuerste Kunstwerk der Welt“ schon im April veröffentlicht, am 9. Jänner läuft er im ORF (s. rechts).

Beiden Werken gelingt der Blick in eine Sphäre, die dem Kunstpublikum sonst verschlossen bleibt: Eine Welt, in der Meisterwerke in Millionenwert in Zollfreilagern gehortet werden und durch die Vermittlung verschwiegener Insider den Eigentümer wechseln.

Dass der „Salvator Mundi“ überhaupt aus dieser Sphäre ausbrechen konnte, ist einer Explosion zu verdanken: Der Oligarch Dmitri Rybolowlew hatte das Bild nämlich um 127,5 Millionen US-$ gekauft. Sein Berater Yves Bouvier hatte aber „nur“ 83 Millionen dafür gezahlt – und die Differenz eingestreift. Als der Oligarch das erfuhr, war er enorm sauer und seines Besitzes nicht mehr froh.

Was folgte, war eine vom Auktionshaus Christie’s beispiellos orchestrierte Publicity-Kampagne, die den „Salvator“ nicht bloß als eigenhändiges Werk Leonardo da Vincis, sondern als „männliche Mona Lisa“ und damit als universelles Kulturgut schlechthin darstellte. Der saudische Prinz Mohammed bin Salman, der 2017 die Rekordsumme hinblätterte (dies aber nie bestätigte), konnte den Kauf so mehr oder weniger mit der islamischen Bilderskepsis vereinbaren.

Höhere Mächte

Bei Vitkine wird all das im Ton eines Krimis erzählt, der das Kunstbusiness generell als zwielichtiges System erscheinen lässt. Und auch bei „The Lost Leonardo“ hagelt es Kritik: „Wie Würmer unter einem Stein“ würden sich Nutznießer versammeln, wenn viel Geld im Spiel sei, sagt etwa Kenny Schachter, der als Erster berichtete, dass der „Salvator“ sich zumindest zeitweilig auf der Yacht des Saudi-Prinzen befand. Wo genau das Bild derzeit lagert, wissen selbst Insider nicht.

Dennoch lädt insbesondere „The Lost Leonardo“ ein, die Welt nicht in Schurken und Helden einzuteilen. Da ist etwa die Restauratorin Dianne Modestini, die das Gemälde erst herzeigbar machte und weiter von der Echtheit überzeugt ist. Da ist der Leonardo-Experte Martin Kemp, der von der „außergewöhnlichen Präsenz“ des Bildes spricht, rückblickend aber doch gesteht, überschwänglich gewesen zu sein. Oder der Kurator Luke Syson, dessen Entscheidung, das Bild 2011 als Leonardo-Werk in Londons National Gallery zu zeigen, dessen „Echtheit“ zementierte – obwohl es nie einen Expertenkonsens gab.

Diese Protagonisten erscheinen weniger als Täter denn als Passagiere auf einem Fahrzeug, das von viel stärkeren Kräften angetrieben wird, als sie die Kunstwelt mit ihren Debatten über Echtheit und Erhaltungszustände mobilisieren könnte. Manche drehen mehr oder weniger bewusst am Treibriemen mit, andere werden überrollt: Erlösung ist erst in Sicht, wenn die Gier Pause macht.