Kultur

Drogenkrieg und Stöckelschuhe

Das Thema "Cannes und die Frauen" nimmt zunehmend absurdere Formen an. Während sich das Festival angeblich darum bemüht, seine Sensibilität für Gender-Ausgewogenheit zu zeigen und demonstrativ zwei Regisseurinnen in den Hauptwettbewerb eingeladen hat, geht es auf dem roten Teppich offenbar noch streng traditionell zu: Laut Berichten des Branchen-Online-Magazins ScreenDaily wurde Frauen der Zutritt zur einer Festival-Premiere verweigert, weil sie keine hohen Schuhe trugen. Dass es sich dabei um Frauen in ihren 50ern handelte, die teilweise aus Gesundheitsgründen keine Stöckel tragen wollten, machte keinen Unterschied: Sie mussten draußen bleiben.

Die Vorführung, die man ihnen verweigerte, war noch dazu ausgerechnet Todd Haynes’ dezidiert feministischer Film "Carol" mit Cate Blanchett. Der erzählt eine lesbische Liebesgeschichte – ein Umstand, der die Sache noch pikanter erscheinen ließ. Festivaldirektor Thierry Frémaux ließ daraufhin kalmierend über Twitter verlauten, dass es – entgegen anderer Behauptungen – keine offizielle Stöckelschuh-Regel für Gala-Vorstellungen gebe.

Wie auch immer. Der Vorfall wurde allerorten hämisch aufgegriffen: Bei der Pressekonferenz zum Wettbewerbsfilm "Sicario" von Denis Villeneuve verkündete der Regisseur, er und seine beiden Hauptdarsteller Benicio Del Toro und Josh Brolin würden aus Solidarität ebenfalls in Stöckel auf dem roten Teppich erscheinen.

Das trug zwar viel zur Erheiterung bei, machte aus dem Drogenkriegs-Thriller "Sicario" allerdings leider keinen herausragenden Film. Zwar liefert der große Kameramann Roger Deakins’ vibrierende Bilder von den Drogengeschäften entlang der amerikanisch-mexikanischen Grenze. Dort versucht eine CIA-Truppe mithilfe einer FBI-Agentin namens Kate (Emily Blunt), den brutalen Chef eines Drogenkartells auszuhebeln. Benicio Del Toro als CIA-Berater kommt in der Operation eine zwielichtige Bedeutung zu, zumal er er von persönlichen Rachemotiven angetrieben wird.

Rachefeldzug

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Regisseur Denis Villeneuve versucht – wie auch zuletzt in "Prisoners" – einen moralischen Graubereich auszuloten, verpasst dabei aber die Chance, seinem Drama Dringlichkeit zu verpassen. Gerade Blunts Rolle wird da zum Kern des Problems: Obwohl zum emotionalem Zentrum des Films erklärt, ist sie kaum mit Handlungsmacht ausgestattet: "Schau zu und lerne", heißt es einmal. Und tatsächlich muss sie mehr oder weniger hilflos mit ansehen, wie die Männer um sie herum ihr Ding durchziehen. Das gibt ihrer Figur wenig zu tun und lässt sie letztlich blass und wenig interessant erscheinen.

Keine Katastrophe, der Film, aber ein weiteres Indiz für einen bisher wenig profilierten Wettbewerb. Die wahren Perlen finden sich anderswo: Der Franzose Arnaud Desplechin lief mit seinem ungewöhnlichen, intensiven Jugendfilm "My Golden Days" in der "Quinzaine"; dort fand sich auch die wunderbare Liebesgeschichte von Philippe Garrel "In the Shadow of Women".

In der Nebenreihe "Un Certain Regard" wurde "Cemetery of Splendor" von Thai-Regisseur Apichatpong Weerasethakul gezeigt, der sich bei Frémaux dafür bedankte, dass man ihn in der Reihe für junge, noch zu entdeckende Regisseure zeigte. Nicht ganz ohne Ironie: Weerasethakul hatte 2010 die Goldene Palme gewonnen.

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