Kultur

Halbe Preise für ganze Franzosen

Danke an Michael Haneke, dass er heuer keinen Film im Wettbewerb hatte", scherzte Jacques Audiard, als er die Goldene Palme in Cannes für sein Flüchtlingsdrama "Dheepan" entgegen nahm.

Bereits zwei Mal war der französische Star-Regisseur mit Haneke im Wettbewerb angetreten, und zweimal hatte ihm Haneke den höchsten Preis weggeschnappt. 2009 übertrumpfte "Das weiße Band" Audiards Gefängnisdrama "Ein Prophet"; 2012 musste sich Audiards Liebesfilm "Der Geschmack von Rost und Knochen" gegenüber "Amour" geschlagen geben. Dass er nun ausgerechnet mit "Dheepan", einer gediegenen, aber keineswegs herausragenden Arbeit den höchsten Preis gewann, sorgte doch für Verblüffung.

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Immerhin nahm sich Audiard punkto Sozialkritik kein Blatt vor den Mund: "Dheepan" erzählt die Geschichter dreier tamilischer Flüchtlinge, die sich als Familie ausgeben und in einem Vorort von Paris im Getto landen. Dort tobt der Bandenkrieg, und der lässt schließlich die Hauptfigur Dheepan ebenfalls zur Waffe greifen. Es kam überraschend, dass sich die Preis-Jury unter dem Vorsitz der Brüder Joel und Ethan Coen – beide für ihre scharzhumorigen Satiren berühmt– für ein glasklares Sozialdrama entschied. Da hätte man schon eher darauf getippt, dass Yorgos Lanthimos’ schräge Sci-Fi-Farce "The Lobster" den Coen-Geschmack getroffen hätte.

Aber die griechische Beziehungsapokalypse landete auf Platz drei und erhielt den Preis der Jury. Der zweite Preis ging an "Son of Saul": Das Spielfilmdebüt des Ungarn László Nemes ist ein Horror-Trip nach Auschwitz. Die Entscheidung, ihm nicht die Goldene Palme zu überreichen, geschah vielleicht auch aufgrund der massiven Spaltung innerhalb der Kritik, die "Son of Saul" mit seiner reduzierten Perspektive auf das KZ nach sich zog.

Cannes 2015: Die Filme im Wettbewerb

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Verblüffung

Ebenfalls überraschend auch die Entscheidung, den Hauptpreis für die beste Schauspielerin zu teilen: Die Amerikanerin Rooney Mara erhielt – sehr verdient – den halben Preis für ihr Spiel als Kaufhausverkäuferin in Todd Haynes’ lesbischer Liebesgeschichte "Carol".

Die andere Hälfte ging allerdings nicht an ihre formidable Filmpartnerin Cate Blanchett; stattdessen wurde die Französin Emmanuelle Bercot für ihr exaltiertes Spiel als strapazierte Ehefrau von Vincent Cassel in Maïwenns "Mon Roi" belohnt. Dazu muss man anmerken, dass "Mon Roi" bei der Kritik durchgefallen war und auch schon insofern für erhobene Augenbrauen sorgte, als er als einer von fünf(!) französischen Filmen im Bewerb lief – einer Anzahl, die eindeutig zu hoch schien. Dafür vergönnten alle dem Franzosen Vincent Landon den Preis als bester Schauspieler in Stéphane Brizés Arbeitslosendrama "The Measure of Man".

Mit drei Auszeichnungen also sehr viele französische Sieger in einem durchwachsenen Wettbewerb, in dem am Ende eindeutig das sozial engagierte Kino gewann. Gut möglich, dass Cannes 2015 nicht so sehr wegen seiner tollen Filme in die Geschichte eingehen wird, sondern wegen "Flatgate": Dem Eintrittsverbot, das über weibliche Besucher einer Gala-Premiere verhängt wurde, weil sie keine Stöckelschuhe trugen.

Die Jury