Joshua Cohen: Ben, das dicke Rehkitz
Von Barbara Beer
An einem verschneiten Wintertag 1959 kommen sie zu fünft im halbkaputten Auto die Straße eines beschaulichen US-Vororts entlang, tragen bizarre Fellmäntel und usurpieren den Haushalt eines braven jüdischen College-Professors. Sie versauen den Teppich, plündern den Kleiderschrank, ruinieren den Fernseher und am Ende muss die Polizei zwei halb nackte Teenager einfangen, die nachts im Schneesturm davon gelaufen sind.
Joshua Cohen hat sie wohl ein bisschen zugespitzt, diese Episode, von der ihm Literaturwissenschafter Harold Bloom (1930-2019) kurz vor seinem Tod erzählt hat. Man hatte den Yale-Professor gebeten, den Campusbesuch des israelischen Historikers Ben Zion Netanjahu zu koordinieren. Entgegen allen Usancen tauchte der obskure Wissenschafter samt Frau und Söhnen auf und verursachte Chaos. Ideale Vorlage für eine wahnwitzige Satire, mit der Cohen 2022 den Pulitzerpreis einheimste.
Ob „Die Netanjahus“ ein Roman ist „oder vielmehr der Bericht über ein nebensächliches und letztlich sogar unbedeutendes Ereignis in der Geschichte einer sehr berühmten Familie“, wie es eingangs heißt? Jedenfalls eine faktenbasierte Erzählung mit etlichen irrwitzigen, hoffentlich erdachten Höhepunkten. (Wie jenem, als sich die unglückliche Tochter des Hauses die verhasste Höckernase quasi selbst operiert.) Aus dem Literaturwissenschafter Harold Bloom hat Cohen den Finanzhistoriker Ruben Blum gemacht, der mit Gattin Edith und depressiver Teenie-Tochter Judy in einer Kleinstadt unweit von New York wohnt, wo er, der sich als Sohn jüdischer Einwanderer aus Kiew hochgearbeitet hat, am College unterrichtet. Hier soll er nun, weil er der einzige Jude an der Universität ist, den jüdischen Historiker empfangen und dessen Campustauglichkeit prüfen. Seine Begeisterung ist enden wollend, vor allem angesichts der für ihn nicht nachvollziehbaren wissenschaftlichen Eignung des Mannes, in dem er den „Zorn des Propaganda-Veteranen“ ausmacht. Als wären akademische Zweifel nicht genug, vereinnahmen die Netanjahus dann zu fünft das Haus des Professors und benehmen sich komplett daneben.
Historisch verbrieft: Die Figur des Ben-Zion Netanjahu (1910-2012), israelischer Historiker und zionistischer Aktivist, der nach einer Reihe von Assistenzposten Professor für mittelalterliche Geschichte an der New Yorker Privat-Universität Cornell wurde. Und der Vater des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu war, hier ein 13-jähriges „dickes Rehkitz“. Im Laufe eines Sitcom-gleichen, irrsinnigen Abends werden Rehkitz und Familie die Wohnung der Gastgeber ruinieren und sie in den Wahnsinn treiben.
Dieser Roman schreit nach Verfilmung, sein Autor wird bereits mit Philip Roth verglichen. Was die klugen, witzigen Abhandlungen über jüdische Identität angeht, mag das zutreffen. Allerdings fehlt, bis auf eine harmlose Episode, der Sex. Das Buch ist trotzdem fantastisch.