Ana Marwan: Sind wir hier im Ministerium oder in einer geschlossenen Anstalt?
Von Barbara Beer
Beginnen wir mit dem, was wir zu wissen glauben.
Ivo Jež, wohl um die 50, leicht dicklich und rotäugig, arbeitet im Ministerium, Abteilung Raumfahrt. Seine im Gegensatz zu ihm erfolgreiche Frau Agata, die stets dafür gesorgt hat, dass er ihr die richtigen Blumen schenkt (niemals Orchideen, zu spießig), hat jetzt einen anderen. Ivo Jež bleibt allein in der von Agata eingerichteten Wohnung zurück. Bloß den Porzellanhund hat sie ihm dagelassen. Herr Jež wird später überlegen, sich einen echten zuzulegen, irgendjemanden muss man ja lieb haben. Vorher lässt er sich eine Weile von einer Kollegin bekochen, die zwar des Genetivs nicht mächtig ist, aber immerhin sein Gewürzregal aufräumt.
Auf der Geburtstagsfeier einer gewissen Frau Klammer lernt Ivo Jež Rita kennen. Das etwas seltsame Mädchen wurde ihm an die Seite gesetzt, weil sich die Frau Klammer dafür rächen wollte, dass Jež ihr aufdringliches Bildungsbürgertumsgetue als solches entlarvt hat. Sie nahm an, der kauzige Herr Jež und die linkische junge Frau mit dem Oberlippenbärtchen, die wirkt, als wäre sie „verpuppt“, hätten einander nichts zu sagen.
Ein Irrtum, wie sich herausstellen wird.
Doch eine Romanze ist „Verpuppt“ mitnichten. Nicht nur, weil Rita niemals ein Schmetterling und Ivo nie etwas anderes als ein ehrgeizloser, untersetzter Beamter sein wird. Es ist ja nicht einmal klar, ob es Ivo Jež überhaupt gibt. Und das Ministerium, in dem er angeblich arbeitet. Könnte gut sein, dass es sich dabei um eine geschlossene Anstalt handelt, in der Rita an ihren Fantasiewelten strickt.
So einfach ist die Sache dann allerdings auch wieder nicht. Leicht durchschaubare Erzählmuster sind Ana Marwans Sache nicht. Sie ist gefinkelt. Stellt die abwegigsten Behauptungen auf. Oft in kursiv geschriebenen Passagen, womöglich zu Therapiezwecken von Patientin Rita verfasst, in denen diese sich an den Leser wendet. Ihre Behauptungen klingen plausibel. Etwa, dass Philosoph Descartes in Wahrheit nicht „Ich denke, also bin ich“ gesagt habe, sondern vielmehr „Ich denke, also folge ich“, was im Französischen grammatikalisch genauso logisch wäre. An anderer Stelle heißt es dann folgerichtig: „Der Weg zur Wahrheit ist übersät mit den Fallen der Plausibilität.“
Gründliche Menschenbeobachterin, lässt die 1980 geborene Slowenin ihre Protagonistin philosophische ebenso wie bauernschlaue Fazite ziehen. Ihre Beobachtungen sind beißend böse. Bildungsbürgerin Klammer etwa kocht Lamm „nach einem Rezept von einem syrischen Flüchtling“, spricht im Theater bei Klassikern mit und nennt Schriftsteller beim Vornamen: Bachmann ist Ingeborg.
Ana Marwan weiß, wie die Menschen reden, doch wird sie in deren Beschreibung nie plump. Ihre Sprache ist reich, originell, vielschichtig (die Übersetzung stammt von Klaus Detlef Olof). Das anfänglich spröde Rita-Universum zieht einen schnell in den Bann. Wer danach rasch mehr von Ana Marwan braucht: Der Otto-Müller-Verlag hat auch ihren Bachmann-Preis-Text „Wechselkröte“ verlegt.