Kultur

Ein „Radikaler im Dienst an der musikalischen Kunst“

Schon der Untertitel macht hellhörig: „Der Anarch in der Musik“. Das entspricht nicht dem gängigen Bild, welches man von Anton Bruckner hat, dessen 200. Geburtstages (4. September) heuer gedacht wird. Ein Bild, welches Rüdiger Görner in seiner Biografie eingangs so beschreibt: „tapsig bis tollpatschig, […] leicht weinselig schwankend, […] die Karikatur eines schrulligen Menschen und Eigenbrötlers“.

Sein Werk freilich steht dazu in scharfem Kontrast. Bruckners Symphonien weisen den Weg in die Moderne – nicht er, sondern sein Zeitgenosse und Antipode Johannes Brahms ist, wenn man so will, der „Konservative“.

Görner stellt Anton Bruckner denn auch als „Radikalen im Dienst an der musikalischen Kunst“ vor. Bruckners Musik sei „Hörarbeit“, schreibt der Autor, „bei allem Celestisch-Transzendierendem, das diese Klangkunst, die sich um den bürgerlichen Musikgeschmack nicht scherte, bewirkt“. Und: „Das Gehör, auf das sie trifft, bedarf des Beistands.“

Hörarbeit

Dieser „Hörarbeit“ hat sich Görner, wenngleich nicht Musik- sondern Literaturwissenschaftler, zweifellos unterzogen. Man spürt es in den ausführlichen und einfühlsamen Beschreibungen einzelner Werke: „Es-Dur, aber nicht als Dreiklang wie zu Anfang des Rheingold, eine vereinzelnde im hohen E ganztönig einsetzende Stimme, daraufhin ein sogleich, aber im Piano erfolgender Quintenfall, der sich gleichsam selbst auffängt […] Das Horn weckt die Streicher, wie die Schalmei des Hirten Tristan wecken soll […]“

Dabei wird der Komponist auch in allen Schattierungen seiner komplexen Persönlichkeit greifbar. Etwa was das Verhältnis zu seiner Mutter angeht, deren Leichnam Bruckner fotografieren ließ, um das Foto dann stets bei sich zu tragen. „Zwangsvorstellungen, Neurosen, obsessives Verhalten“ hätten Bruckners Biografie geprägt, so der lapidare Befund.

Was bleibt, ist freilich die Musik: „Sehen wir hörend die ‚innere Landschaft‘ dieser Symphonien, die sich nicht trennen lässt vom Glaubensethos, das diesen Künstler durchwirkte? Wie ‚verlassen‘ sind wir in der Gesellschaft dieser Musik?“

Diese Frage mag – nach der „Lesearbeit“ dieses Buches – jeder für sich selbst beantworten.

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