Kultur

Biennale Venedig: Schiffahrt auf der See der Symbolik

Zu manchen, die an dem Schiffswrack an der Spitze des Arsenale vorbeimüssen, hat sich die Botschaft noch nicht durchgesprochen.

In der Mediensphäre hat das Ungetüm allerdings schon mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen als als alle Länderpavillons der Biennale: Es ist das Wrack jenes Fischerboots, das im April 2015 völlig überfüllt zwischen Libyen und Lampedusa sank. Mit mehr als 700 Opfern gilt der Schiffbruch als der tödlichste der Migrationsbewegung im Mittelmeer. Christoph Büchel, der regelmäßig provoziert, indem er ein Übermaß an Realität in die Kunstwelt bringt, ließ es vor dem Arsenal postieren. Der Protest der Regierungsparteien Lega und Fünf Sterne folgte umgehend: Das Boot möge in Büchels Schweizer Heimat oder in Brüssel aufgestellt werden, hieß es.

Auch wenn Büchel auf der Biennale kein Land vertritt, hat er der Dauer-Debatte um den Wettstreit der Nationen bei der Kunstschau einen neuen Dreh verpasst. Denn Venedig sendet Signale – in die Teilnehmerländer, in die Politik und in die Kunstwelt, die sich gern grenzenlos gibt und doch eigene Wälle baut.

An der Staumauer

Das Thema Flucht und Zugehörigkeit taucht im Länder-Parcours sonst am deutlichsten im deutschen Pavillon auf: In das Gebäude in den Giardini, das bewusst dreckig belassen wurde, wurde eine riesige Staumauer eingebaut, aus der nur ein Rinnsal zu dringen scheint. Die Assoziationen sind hier (zu) offensichtlich – eine Klanginstallation und Versatzstücke aus Tomatenplantagen können die Intention der Künstlerin Natascha Süder Happelmann (ein Pseudonym) nicht viel weiter erhellen.

Generell scheint im National-Spiel der Biennale eine unsichtbare Mauer zu verlaufen. Auf der einen Seite stehen Länder, die aus der komfortablen Situation der Sicherheit und Sichtbarkeit politisch-moralische Statements tätigen oder sich einer „reinen“ Kunst widmen können; auf der anderen Seite jene, denen die Biennale eine seltene Chance bietet, breit wahrgenommen zu werden.

Wo Sichtbarkeit zählt

Der Maler Serwan Baran, einst unter Saddam Hussein als Propagandakünstler verpflichtet, nutzt etwa den Irak-Pavillon dafür, sein Kriegstrauma aufzuarbeiten: Sein Bild eines Schlachtfelds, in einem Palazzo nahe der Accademia versteckt, ist konventionell, berührt aber vor dem Hintergrund der Lebensgeschichte des Künstlers.

Auch Zimbabwe hat bemerkenswerte Malerei aufzuwarten, etwa von Kudzanai-Violet Hwami, die Gegenständliches mit Collagen mischt und damit das Leben zwischen den Kontinenten ins Bild bringt. Beim malaysischen Beitrag (dem ersten überhaupt) lässt Ivan Lam Filme seiner Heimat auf TV-Schirmen mit der Bildseite zur Wand laufen – und zeigt damit pointiert, wie es ist, wenn man vom Fremden nur eine erste Ahnung bekommt.

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Nur wenigen Künstlern gelingt es aber, der persönlichen und politischen Historie eine Form zu geben, die ganz und gar ihre eigene ist. Herausragend ist in dieser Hinsicht das Werk von Stanislav Kolíbal, das im tschechischen Pavillon in den Giardini präsentiert wird. In einer Zusammenschau von Arbeiten aus fast 60 Jahren zeigt der vom Wiener Dieter Bogner kuratierte Beitrag, wie das streng Geometrische bei Kolíbal immer wieder Risse bekam und so die Unsicherheit im kommunistischen Staat zum Ausdruck brachte.

Derart an der Grenze zwischen Abstraktion und Realität kratzt sonst fast nur Martin Puryear im US-Pavillon: Seine Skulpturen, deren Form sich u.a. von historischen Mützen herleitet, sind formal streng und fungieren zugleich als Symbole afroamerikanischer Geschichte.
 

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Die Frage nach der richtigen Distanz der Kunst zum Weltgeschehen bleibt bei jeder Biennale ein ständiger Begleiter: Betuliche Ästhetik wirkt ebenso hohl wie vordergründige Polit-Agitation.

Davon, dass das Poetische Kraft hat, überzeugt aber – neben dem wilden Roadmovie von Laure Prouvost im Frankreich-Pavillon – der Schweizer Beitrag: Mit einem Tanz-Video schlagen Pauline und Boudry und Renate Lorenz darin vor, dass wir uns angesichts des grassierenden Rückschritts alle gemeinsam rückwärts bewegen sollten – mit verkehrtherum angezogenen Schuhen. Wo der Widerspruch nicht reicht, beginnt das Widersprüchliche.

INFO: Pavillons und Palazzi

Bei der 58. Kunstbiennale von Venedig nehmen 90 Länder teil, neu sind heuer Ghana, Madagaskar, Malaysia und Pakistan.  Zahlreiche „Pavillons“ sind abseits der Hauptschauplätze, den Giardini und dem Arsenal, in Gebäuden in der Stadt eingemietet. Eine Jury besucht alle Beiträge und nominiert die Preisträger für Goldene und Silberne Löwen. Sie werden bei der offiziellen Eröffnung am Samstag bekannt gegeben. Die Biennale läuft bis zum  24. 11.