Berlinale: Sieg des politischen Kinos
Von Alexandra Seibel
Die Letzten werden die Ersten sein: Das Drama „Es gibt kein Böses“ des iranischen Regisseurs Mohammad Rasoulof lief als letzter Beitrag im Hauptwettbewerb der diesjährigen Berlinale – und holte sich den Goldenen Bären für den besten Film.
Mit flammenden Worten der Anerkennung überreichte Jeremy Irons, Präsident der Preis-Jury, die Bären-Statue Rasoulofs sichtlich gerührten Tochter Baran. Der Regisseur selbst, einer der nachdrücklichsten Stimmen des iranischen Kinos, hatte nicht die Erlaubnis erhalten, aus dem Iran auszureisen; bereits 2017 war ihm sein Pass abgenommen worden.
In ihrer Dankesrede betonte die in Deutschland lebende Baran Rasoulof, wie traurig sie sei, dass ihr Vater nicht hier sein konnte. Auch die weiteren Mitglieder von Rasoulofs Filmteam, die im Gala-Publikum in Berlin saßen, weinten bitterlich.
Allein, dass Rasoulofs in vier Episoden erzählter, wortgewaltiger Film überhaupt entstand, grenzt an ein Wunder in Anbetracht der Repressalien, denen der regimekritische Regisseur ausgesetzt ist. In „Es gibt kein Böses“ geht es um die Todesstrafe im Iran und die Verstrickung von Moral, Schuld und Zivilcourage derjenigen, die den Befehl zur Tötung ausführen müssen.
Rasoulofs unverhohlene Kritik am autoritären Regime wurde nun mit dem Goldenen Bären belohnt – beinahe schon eine Tradition der Berlinale, die politisches Filmemachen gerne auszeichnet. Es ist dies der dritte Goldbär für den Iran, nachdem 2011 Asghar Farhadi mit „Nader und Simin – Eine Trennung“ und Jafa Panahi mit „Taxi Teheran“ 2015 die Goldenen Bären erhalten hatten.
Den Silbernen Bären für beste Schauspielerin erhielt Paula Beer für ihre Rolle als Wassergeisterfrau in Christian Petzolds mythischer Liebesgeschichte „Undine“. Der deutsche Wettbewerbsbeitrag „Berlin Alexanderplatz“ ging dafür völlig leer aus, wiewohl manche damit spekuliert hatten, dass dessen Hauptdarsteller Welket Bungué einen Preis für sein engagiertes Spiel als Flüchtling aus Guinea-Bissau bekommen würde. Stattdessen ging der Silberne Bär für den Besten Schauspieler an den Italiener Elio Germano, der in dem Künstler-Porträt „Hidden Away“ einen exzentrischen Maler verkörpert.
Den Großen Preis der Jury erhielt hoch verdient Eliza Hittmans exzellentes amerikanisches Coming-of-Age-Drama „Never Rarely Sometimes Always“. Darin erzählt die Regisseurin von einer 17-Jährigen aus der Provinz, die schwanger wird und nach New York reist, um dort eine Abtreibung vorzunehmen.
Unterwelt
Erstmals ging die Berlinale unter der neuen Doppelspitze von Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek über die Bühne und wurde von den Zuschauern freudig akzeptiert: Die Kinosäle waren besser gefüllt denn je. Das Berliner Publikum lässt sich gerne durch gut gewählte Arthouse-Filme ins Kino locken und fühlt sich bei dem neuen künstlerischen Leiter sichtlich bestens aufgehoben. Zudem hat Chatrian eine neue Wettbewerbsschiene namens „Encounters“ eingeführt, in der er eigenwillige und experimentierfreudige Filme programmierte. Dort feierte das unbehagliche Androiden-Drama der österreichischen Regisseurin Sandra Wollner „The Trouble With Being Born“ Premiere – und erntete prompt den Spezialpreis der „Encounters“-Jury.
„The Trouble With Being Born“ erzählt von einer Zehnjährigen, die einem Kind zwar täuschend ähnlich sieht, tatsächlich aber ein Roboter im Dienste einsamer Menschen ist. In Ihrer Preisrede bedankte sich Sandra Wollner bei der Berlinale dafür, mit einer Schiene wie „Encounters“ andere, ungewöhnliche Kinoformen in den Blick zu nehmen.
Übrigens: Zwar keinen „echten“ Preis, aber eine lobende Erwähnung erhielten die Filmemacher Tizza Covi und Rainer Frimmel für ihren charismatischen Doku-Wien-Film „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“.