Kultur

Helden am Rande des Nervenzusammenbruchs

Orpheus ( Kai Maertens) muss sein Stimmband-Trauma therapeutisch überwinden. Dazu muss er üben zu gehen, ohne sich umzudrehen, wenn ihn Herakles (Nicki von Tempelhoff, hier mit blonder Eurydike-Perücke) ruft. Am Ende der Therapie-Stunde greint Orpheus beleidigt: „Schrei mich nicht an!“ Dabei hat Herakles selbst einiges zu verarbeiten. Sein Vater, Zeus, hat sich schließlich nie um ihn gekümmert und die Stiefmutter hat ihm gleich einmal eine Schlange ins Kinderbett gesteckt. Er macht Anti-Gewalt-Training und wird am Ende eine Anti-Aggressionsgruppe namens „Knüppel in den Sack“ gründen.

Diese Szenen gehören zu den komischen Höhepunkten von Vea Kaisers „ Argonauten“ im Rabenhof. Sie zeigen Helden, die auch nur Menschen sind.

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Feuerprobe

Nichts ist so schwer wie das erste Werk nach einem großen Erfolg. Vea Kaiser hat die Feuerprobe bestanden. Das erste Theaterstück der Autorin, die mit ihrem grotesken Heimatroman „Blasmusikpop“ 2012 ein furioses Debüt schaffte, ist gelungen. Ihre Dramatisierung der Argonauten-Sage ist Jugendtheater, wie es sein soll. Komisch, tragisch, spannend. Freilich: Das sind die blutrünstigen Geschichten der Alten Griechen per se. Aber einen Haufen 12-Jährige 95 Minuten lang ihre Smartphones vergessen zu lassen, ist nicht einfach. Die 25-jährige Altgriechisch-Studentin Kaiser meistert das. Mithilfe der Regie ( Roman Freigaßner), der die richtige Mischung aus Klamauk und Drama gelingt, und natürlich dem guten Ensemble. Kaisers Argonauten-Erzählung konzentriert sich aufs Menschliche. Die Götter werden außen vor gelassen und Übernatürliches gibt’s dann, wenn Medea ein bisschen zaubert – bis es ihrem Iason, der, kaum hat er den Thron bestiegen, zum miesen Spießer wird, zu blöd wird.

Altes Schaffell

Im Zentrum stehen mit Orpheus und Herakles zwei Helden, die „durch“ sind mit Abenteuer. Ausgerechnet da kommt ein Typ wie Iason (Markus Kofler) daher und will mit einem alten Schaffell (– dem Goldenen Vlies) sein Land retten. Es gelingt ihm, die Rentner-Helden zur Rückkehr ins aktive Berufsleben zu überreden. Sie machen die Argo startklar, Orpheus singt, Herakles schwingt die Keule, und man holt das goldene Widderfell und schnappt sich nebenbei die schöne Medea.

Die fantasievolle Ausstattung (Heike Mirbach) und die einfallsreiche Bühnentechnik seien hier erwähnt: Die Argo ist ein Holzschiff, das einen Zwilling in einem Aquarium hat. Dort findet auch die Seenot statt, die gefilmt und sehr effektvoll auf eine Leinwand projiziert wird.

Neben den Bühneneffekten ist es vor allem Medeas Drama, das dem Abend Tiefe verleiht. Zwar verzichtet man aus Rücksicht aufs junge Publikum auf Kindermord. Doch Medea hat ihr Zuhause und ihren Vater verraten für einen Mann, Iason, einen machthungrigen Tropf, der das Opfer nicht wert war. Nancy Mensah-Offei zeigt Medeas Tragik glaubwürdig.

Schön grotesk ist Sebastians Pass’ boshafter Pelias, der sein Volk mit schwachsinnigen Reden einzulullen versucht – Zitate aus dem Wahlkampf 2013. Auch im alten Griechenland, ging’s um leistbares Wohnen und um Pensionen. Erfolg hat aber nur das Versprechen auf Freibier. Die spinnen, die Griechen.

KURIER-Wertung: