Anton Corbijn gab dem Sound von Depeche Mode ein Bild
Von Marco Weise
"Anton war in der Lage, dem Sound, den wir zu kreieren begannen, eine visuelle Identität zu geben“, sagte Dave Gahan als Depeche Mode im vergangenen November in die "Rock & Roll Hall of Fame“ aufgenommen wurden. In seiner kurzen Rede bedankte sich der Sänger der britischen Superstars dann auch artig bei diesem besagten Anton, der auf den Nachnamen Corbijn hört. Dabei handelt es sich um jenen Mann, der „Gott sei Dank zur richtigen Zeit zu uns stieß und uns tatsächlich cool aussehen ließ“, wie Gahan bei seiner Ansprache resümierte. Damit verneigte er sich verbal vor dem niederländischen Fotografen, Videokünstler und Regisseur, der die Band seit Anfang der 80er-Jahre begleitet.
Das erste Zusammentreffen zwischen dem Fotografen und Band war aber einem Zufall geschuldet, wie man dem Bildband "Depeche Mode by Anton Corbijn (81-18)" (Taschen Verlag) entnehmen kann. Corbijn erinnert sich darin, Depeche Mode bereits fotografiert zu haben, als er noch gar nicht wusste, wer die Band ist: Gahan und Co. hätten 1981 in London als Vorband für Frank Tovey alias Fad Gadget gespielt. Corbijn, eng mit Tovey befreundet, war eigentlich nur gekommen, um Fotos von seinem Kumpel zu machen. Aber da er schon mal anwesend war, habe er halt auch bei diesen ihm völlig unbekannten Jungs ein paar Mal draufgedrückt, so der Fotograf. „Ich habe nicht einmal zehn Bilder gemacht, wer achtet schon auf die Vorband, habe später keine Sekunde mehr darauf verschwendet – und erst dieses Jahr festgestellt, dass es meine ersten Fotos von den Jungs waren. Sie steckten damals noch tief in der New-Romantic-Phase fest, ich mochte ihre Musik nicht, weil sie mir zu sehr nach Plastikpop klang", wird der 66-Jährige zitiert.
Aus dieser anfänglicher Ablehnung ist eine nunmehr 40-jährige Freundschaft entstanden, wie man dem XL-Bildband entnehmen kann. Dieser mit mehr als 500 Seiten daherkommende Ziegel wurde im Herbst des Vorjahres in einer streng limitierten und von Depeche Mode und Anton Corbijn signierten Auflage von knapp 2.000 Exemplaren veröffentlicht, die schnell vergriffen waren. Nun bringt der Taschen Verlag den Band auch in einer unlimitierten und deshalb auch leistbareren Version heraus: anstatt 1.500 Euro muss man "nur" noch 100 Euro dafür hinlegen.
Eine Investition, die sich durchaus auszahlt. Denn der Bildband dokumentiert die Zusammenarbeit zwischen der Band und Corbijn, der dann auch als eine Art Kreativdirektor agierte: Mit seinen in der Öffentlichkeit präsentieren Bildern von Depeche Mode prägte er das Image der Musiker maßgeblich. In der Einleitung des Buches erinnert sich Corbijn dann auch an seine vielschichtige Rolle bei Depeche Mode: „Vieles hing von mir ab. Ich wollte einfach der Richtige für sie sein, für sie mitdenken und aus mir das Allerbeste herausholen.“
Der 1955 geborene Anton Corbijn ist einer der wegweisendsten, visuellen Künstler seines Genres, der mit Musikern wie U2, Joy Division, Nirvana und The Rolling Stones Musikvideos, Plattencover und PR-Fotos aufnahm. Seine Bilder zeigen eine charakteristische Bildsprache. Meist schwarz-weiß, stets kontrastreich, körnig und selten nachträglich bearbeitet. Er positioniert seine Protagonisten bevorzugt in realer Umgebung, umgeben von natürlichem Licht, um einen authentischen Moment einzufangen. Anton Corbijn wollte immer die Menschen hinter der Musik in den Vordergrund rücken. Daher sieht man in seinen Bildern meist auch keine Instrumente herumstehen - es gibt es kaum Konzertfotos. Er wollte Musiker abseits der Bühne präsentieren.
Fotografie alleine reichte Corbijn irgendwann nicht mehr und so fing er an, Musikvideos zu produzieren. Mit Erfolg. Seine ikonischen Musikvideos mit Depeche Mode und U2 führten schließlich zu größeren Filmprojekten, wie “The American” mit George Clooney, “A Most Wanted Man” mit Philip Seymour Hoffman (selig!) und “Control” über den Joy Division Lead-Sänger Ian Curtis (ebenfalls selig!).
Die Spontaneität der Anfangsjahre, die auf den Fotos zu sehen ist, verblasst mit zunehmender Seitenanzahl. Das gemeinsame Abhängen in diversen Backstageräumen, die gemeinsame Freizeitgestaltung, der gemeinsame Rausch, all das, hörte in den Nullerjahren auf. Heutzutage leben die noch übrig gebliebenen Bandmitglieder auch an völlig verschiedenen Orten: Martin Gore in Kalifornien, Dave Gahan in New York und Andrew Fletcher in London. Alan Wilder hat die Band 1995 verlassen.
Dass der Fotograf und Depeche Mode aber immer noch eng mit einander verbunden sind, unterstreicht ein soeben veröffentlichtes Video. Darin lässt Corbijn den Ballett-Star Sergei Polunin in ein atemberaubenden Video zum Depeche-Mode-Song "In Your Room" tanzen (siehe unten).