Angesichts der Schlange liegen die Nerven blank
Von Alexandra Seibel
Erste Ermüdungserscheinungen zur Halbzeit von Cannes. Überall enorme Menschenschlangen, soweit das Auge reicht – vor Kinos, Computerplätzen und Toiletten. Der Kampf unter den Tausenden akkreditierten Journalisten um einen freien Platz im Kino ist besonders hart: Wer einen weißen Ausweis besitzt – ein Vertreter der New York Times beispielsweise –, gehört zur Königsklasse der schreibenden Zunft. Dann folgt die Farbe Rosa: Sehr gut, wer einen rosa Ausweis mit gelbem Punkt besitzt. Er kann sich in den tobenden Massen relativ privilegiert fortbewegen. Auch wer sich bei der Schlange "Rosa ohne Punkt" anstellen darf, liegt noch im guten Mittelfeld. Doch wer blau trägt, gehört schon zum Fußvolk: Er muss zähneknirschend zusehen, wie alle anderen an ihm vorbeiziehen, ehe sich für ihn die Tore öffnen. Ganz mau schließlich die Farbe Gelb.
Manche müssen sich daher bis zu drei Stunden anstellen, um noch einen Platz zu ergattern. Und da wirft schnell mal einer die Nerven weg: Menschen brüllen einander gegenseitig an, weil es jemand wagt, einen Sitz für einen Kollegen freizuhalten, der noch nicht da ist. Das wird gar nicht gerne gesehen.
Umso enttäuschender dann, wenn der Wettbewerbsfilm, für den man sich endlos die Beine in den Bauch gestanden hat, doch nicht den in ihn gesetzten hohen Erwartungen entspricht. Und das passiert derzeit gerade ziemlich häufig, denn die heurige Filmauswahl enttäuscht immer wieder.
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Die Wettbewerbsfilme von Cannes 2015