Kultur

Eine atemberaubende, bitterböse Suche nach dem verlorenen Selbst

Manchmal braucht man ein bisschen Glück und einen guten Instinkt. Intendantin Bettina Hering verfügt über beides und hat eine Produktion ans Landestheater Niederösterreich geholt, für die sich eine Reise nach St. Pölten mehr als gelohnt hat.

Leider nur zwei Mal war Karin Henkels grandiose Inszenierung von "Amphitryon und sein Doppelgänger" aus dem Schauspielhaus Zürich zu Gast. Eine Annäherung an Heinrich von Kleist, die heuer auch zum Berliner Theatertreffen (als eine der zehn besten deutschsprachigen Aufführungen) eingeladen ist. Und wer das Gastspiel gesehen hat, kann diese Entscheidung der Berliner Jury sehr gut nachvollziehen.

Denn Henkel reduziert Kleists Tragikomödie auf ihre Essenz. Wer ist wer in diesem perfiden Spiel, das Göttervater Jupiter mit Amphitryon und dessen Gattin Alkmene treibt? Als Amphitryon nähert sich der Gott Alkmene und verführt diese. Der echte Gatte kehrt zurück, ist aber fortan seines Ichs beraubt.

Regisseurin Henkel teilt den Text auf ihre fünf Protagonisten auf. Jeder spielt jeden, Männer sind Frauen, Frauen sind Männer, Figuren werden verdoppelt, verdreifacht, vervierfacht. Und auf Henrike Engels zweistöckiger Wohn-Bühne entfaltet sich eine rasante Suche nach dem jeweiligen Selbst. Ein virtuoses Spiel im Spiel und mit dem Spiel an sich. Hin und wieder steigen die Darsteller aus ihren Rollen aus, sind Schauspieler, die auch einmal Jupiter sein wollen.

Das alles ist virtuos erzählt, unfassbar komisch, in seiner Fragestellung zutiefst schockierend. Austauschbar ist der Mensch; die Komödie aber geht weiter. Auch dank fabelhafter Schauspieler wie Carolin Conrad, Fritz Fenne, Lena Schwarz, Marie Rosa Tietjen und Michael Neuenschwander geht diese Kleist-Adaption unter die Haut. Jubel.

KURIER-Wertung: