Kultur

Amos Oz’ "Judas": Eine Lanze für die Verräter

Amos Oz ist einer der größten Erzähler und zugleich einer der wichtigsten politischen Kommentatoren unserer Zeit. Sein Engagement für eine Zwei-Staaten-Lösung im Nahost-Konflikt reicht weit in die Sechzigerjahre zurück. Mit seinem Roman "Judas" setzt der israelische Schriftsteller nun erneut ein starkes politisches Zeichen – eine Ansage in Richtung Israels Konservative. Und sei die Hoffnung auf Frieden auch nach den Parlamentswahlen am Dienstag gering, Oz will sie dennoch nicht aufgeben.

Dem Ziel, Israel zu verstehen, kommt näher, wer Oz’ autobiografischen Roman "Eine Geschichte von Liebe und Finsternis" gelesen hat. Das Buch erzählt neben den familiären Verstrickungen auch von der Gründung des Staates Israel. Diese überzeugende Verbindung zwischen Privatem und Politischem macht auch Oz’ neuen Roman "Judas" zu einem, man kann es nicht anders sagen, Meisterwerk, für dessen Übertragung ins Deutsche die Schriftstellerin Mirjam Pressler nun mit dem Übersetzerpreis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde.

"Judas" rüttelt am Gründungsmythos des Staates Israel und versucht zugleich, dem biblisch-historischen Ursprung des Konflikts zwischen Juden und Christen auf die Spur zu kommen. "In dieser Geschichte gibt es Irrtum und Lust, es gibt enttäuschte Liebe und es gibt so etwas wie die Frage nach Religiosität, die hier unbeantwortet bleibt", schreibt Oz zu Beginn seines Romans.

Die geteilte Stadt Jerusalem, Anfang der 1960er. Schmuel Asch, ein asthmatischer Student mit einem Bart "wie aus Stahlwolle", befindet sich in einer Lebenskrise. Seine Freundin hat den phlegmatischen, aber idealistischen jungen Sozialisten verlassen, die elterliche Geldquelle ist plötzlich versiegt und er sieht sich gezwungen, sein Studium ruhen zu lassen und sich stattdessen einen Job zu suchen. Über eine Anzeige wird der gebildete Bummelstudent zum Betreuer eines geheimnisvollen alten Mannes, dem er Geschichten vorliest und sich buchstäblich mit ihm über Gott und die Welt unterhält.

Glühender Zionist

Gershom Wald, körperlich beeinträchtigt, aber geistig rege, ist glühender Zionist und hat seinen einzigen Sohn Micha im Unabhängigkeitskrieg verloren. Religionen hält er per se für ein Übel. Neben den Diskussionen über die Ideale des Zionismus und die jüdisch-arabischen Konflikte beschäftigt sich Schmuel wissenschaftlich mit der Geschichte Jesu’ aus der Perspektive der Juden. Die Rolle des Judas Ischariot, der als Inbegriff des Verrats gilt, übt dabei eine besondere Faszination auf ihn aus.

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In dem Steinhaus, das Schmuel nun mit Herrn Wald bewohnt, lebt auch dessen verwitwete Schwiegertochter Atalja Abrabanel. Schmuel verliebt sich in die zwanzig Jahre ältere Schönheit, deren Vater einer der Anführer der zionistischen Bewegung war. Dieser (erfundene) Schealtiel Abrabanel hatte schon 1947 dafür plädiert, das Land in zwei Staaten zu teilen, was dazu führte, dass man ihn in Israel als Verräter verleumdete – neben Judas der zweite Verräter dieser Geschichte.

Die zarten Bande, die Schmuel zu Atalja knüpft, sowie der sich stetig verschlechternde Gesundheitszustand des Alten bilden den Rahmen für diese Auseinandersetzung mit den großen Themen des Menschseins. Judas, wird sich Schmuel überzeugen, liebte Jesus, der das Judentum eben nicht abschaffen, sondern reformieren wollte. Judas habe Jesus ans Kreuz geliefert, um ihm zu helfen, das Christentum zu begründen. Und nun werde ausgerechnet Judas zum größten Feind des Christentums erklärt.

Der dritte Verräter hier ist womöglich Amos Oz selbst, der Mitbegründer der israelischen Friedensbewegung, der oft erzählt, er werde als solcher regelmäßig als Verräter bezeichnet.

KURIER-Wertung:

INFO: Amos Oz: „Judas“. Übersetzt von Mirjam Pressler. Suhrkamp. 335 Seiten 23,60 Euro.

Amos Oz, dessen Familie aus Odessa stammt, wurde am 4. Mai 1939 als Amos Klausner in Jerusalem geboren. 1954 trat er nach dem Selbstmord seiner Mutter dem Kibbuz Chulda bei und nahm den Namen Oz an. Der Literaturwissenschaftler und mehrfach ausgezeichnete Schriftsteller (zuletzt 2014 Siegfried-Lenz-Preis) gilt seit Jahren als Anwärter auf den Literaturnobelpreis. Seit dem 6-Tage-Krieg ist Oz in der israelischen Friedensbewegung aktiv und befürwortet eine Zwei-Staaten-Lösung: Einen eigenständigen palästinensischen Staat neben Israel.