Kultur

Wenn der amerikanische Traum zum Albtraum wird

Zeitgenössische Oper hat es immer noch nicht leicht. So und nur so lassen sich doch einige freie Plätze bei der österreichischen Erstaufführung (Reprisen: 9., 11. Dezember) von Olga Neuwirths "American Lulu" im Theater an der Wien erklären. Dabei hat Neuwirth – die Uraufführung fand 2012 an der Komischen Oper Berlin statt – ein eingängiges, packendes, komplexes und sehr jazziges Werk geschrieben.

Ausgangspunkt war Alban Bergs unvollendet gebliebenes Meisterwerk; Neuwirth hat die Handlung rund um die Männer verschlingende Kindfrau Lulu in die 50-er und 70-er Jahre der USA verlegt. Ihre Lulu ist eine Farbige in der Zeit der aufkommenden Bürgerrechtsbewegung. Immer wieder wird die Komposition durch (eingespielte) Reden Martin Luther Kings unterbrochen. Wie bei Berg steigt Lulu auch hier durch viele Betten, Leichen pflastern dabei ihren Weg.

Aber: Neuwirths Blick auf Lulu ist einer aus weiblicher Sicht. Sie gesteht ihrer Protagonistin keine Gefühle zu, zeigt eine Männerwelt zwischen Notgeilheit und Selbstzweifel. Das handelnde Personal wurde mehr oder weniger direkt von Berg (die Namen sind andere) übernommen, nur "funktioniert" diese Lulu auch (und vor allem) auf einer sozialkritischen Ebene.

Viel Jazz

Musikalisch schöpft Neuwirth aus dem Vollen, changiert gekonnt zwischen formal strenger Avantgarde und Jazz. Regisseur und Ausstatter Kirill Serebrennikov hat aus dieser "American Lulu" einen Film-noir-Psychothriller gemacht, der nur die Farben Schwarz, Weiß, Grau kennt, bühnenmäßig an Edward Hoppers "Nighthawks" erinnert und geschickt mit filmischen Projektionen arbeitet. Eine stringente, kühle Umsetzung mit viel nackter Haut, an deren Ende die Ermordung Lulus durch die gesamte Menschheit steht.

Gut die musikalische Seite: Dirigent Johannes Kalitzke und das Orchester der Komischen Oper Berlin bringen die Musik zum Swingen; als Lulu liefert Marisol Montalvo eine auch stimmlich beeindruckende Charakterstudie ab. Aus dem Ensemble ragen die R&B-Sängerin Della Miles und Bassbariton Claudio Otelli heraus. Viel Applaus.

KURIER-Wertung: