Kultur

Akademietheater-Auftakt mit "Die Frau vom Meer"

Vorher wurde im Foyer noch über die wechselnden Trends im Regie-Theater gespottet. Zuletzt sehr beliebt: Es muss in Strömen vom Schnürboden regnen. Und es muss unbedingt ein Becken auf der Bühne sein, in dem sich die Darsteller nach Kräften nass machen können. Dann geht man in die Vorstellung und sieht: Regen und ein Planschbecken. Nur: In diesem Fall ist all das sinnvoll und gerechtfertigt. Denn Hauptfigur in Henrik Ibsens „Die Frau vom Meer“ ist ja nicht nur die Frau, sondern auch das Meer. Wie so oft setzt der Naturromantiker Ibsen das Meer als Projektionsfläche für die Sehnsüchte seiner Frauenfigur: Ellida, die Frau des Kleinstadtarztes Dr. Wangel, hat, um Bruce Springsteen zu zitieren, „a hungry heart“. Aufgewachsen als Tochter eines Leuchtturmwärters, sehnt sie sich nach dem offenen Meer und nach Freiheit. In der Enge dieser Ehe und des Fjordes, an dem sie leben muss, verliert sie langsam den Verstand.

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Badezeit

Die Inszenierung von Anna Bergmann im Akademietheater arbeitet mit der naheliegenden Symbolik des Wassers. In gezähmter Form, als Aquarium, steht es mitten auf der Bühne (Bühnenbild: Ben Baur), der spießige Oberlehrer Arnholm darf darin sogar seine Lustwallungen abkühlen. Je länger die Inszenierung dauert, umso bedrohlicher dringt das Wasser in die vermeintliche Kleinbürgeridylle ein. Schließlich reißt Ellida in ihrer Verzweiflung die Bodenbretter weg. Darunter: überall Wasser. Bei Ibsen hat Ellida einmal einem mysteriösen, fremden Seemann Treue und Ehe versprochen. Dieser muss wegen eines Mordes fliehen, taucht aber später wieder auf und fordert bei Ellida die Einhaltung ihres Versprechens ein, worauf Wangel sie schließlich freigibt.

In Anna Bergmanns Interpretation gibt es diesen Fremden nur in Ellidas Kopf, er ist ein Wahnbild, eine Heimsuchung. Und am Ende entscheidet sich Ellida nicht, wie bei Ibsen, für die Fortsetzung ihrer Ehe mit Wangel, sondern bittet Wangel, sie zu töten, worauf er sie ertränkt. Und noch etwas wird in dieser Inszenierung zumindest angedeutet: Hat Ellida das gemeinsame Kind mit Wangel ermordet, ebenfalls ertränkt, in der Badewanne? All diese Deutungen hat Ibsen wohl kaum im Sinn gehabt, aber sie sind möglich und keineswegs unsinnig. Sie machen aus Elllida eine moderne Figur, eine Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs. Sie wird uns dadurch vertraut, aber sie wird dadurch auch kleiner. Ihretwegen müsste man heute kein Theaterstück schreiben, eine Gesprächstherapie mit Familienaufstellung und eine medikamentöse Einstellung des Serotoninspiegels würden reichen.

Darsteller

Wieso oft am Burgtheater lässt sich sagen: Dieser intensive, aber ein wenig glatt und vorhersehbar inszenierte Abend (inklusive Filmzuspielungen und Musik von Radiohead) funktioniert, weil die Schauspieler so gut sind. Christiane von Poelnitz als Ellida darf ihr ganzes Repertoire auspacken, von den leisen Tönen bis zur Wahnsinnsarie. Auch Falk Rockstroh als Wangel, Alexandra Henkel und Jasna Fritzi Bauer als dessen Töchter, Tilo Nest als Arnholm, Christoph Luser als schwindsüchtiger Künstler und Franz J. Csencsits als mysteriöse Geister-Figur überzeugen.

Sehr freundlicher Applaus vom größeren Teil des Publikums.

KURIER-Wertung: **** von *****

Szenenfotos: "Die Frau vom Meer"

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