Wenn der Neid regiert
Von Barbara Kaufmann
Neid geht immer. Es ist der Kitt der Demagogen, das Bindemittel von Wut und Angst, der Kleister der Hetzer. Neid hält sie zusammen. Die Unzufriedenen und die Wütenden.
Neid lenkt ab. Davon, dass man selbst immer weniger hat, obwohl man länger arbeitet, sich zerreißt, vierteilt zwischen Arbeit, Kindern, Wohnen, Pflege. Davon, dass gleichaltrige Kollegen „abgebaut“ werden und jüngere nachkommen, die weniger kosten, aber gerne länger bleiben, weil keine Familie zu Hause auf sie wartet. Davon, dass die Kinder schlecht schlafen, weil in der Klasse die Angst umgeht, es nicht ins Gymnasium zu schaffen, sondern stattdessen in einer „falschen Schule“ zu landen, wie die Eltern der anderen Kinder ständig warnen. So lernen auch schon Neunjährige, dass es richtige und falsche Wege gibt, auf die man oft nicht freiwillig abbiegt, sondern umgeleitet wird, wenn man nicht entspricht, nicht dazu passt, nicht genügt.
Neid spaltet. Er treibt einen Keil zwischen jene, die wenig haben und jene, die vom wenigen noch weniger haben. Er befeuert die Gier, zerstört den Zusammenhalt, vernebelt den Blick auf das, was ist. Er macht Nachbarn zu Konkurrenten, Betroffene zu Feinden, schürt Missgunst, Argwohn, Eifersucht.
Neid nährt die Schadenfreude, das Triumphgefühl der zu kurz Gekommenen.
Endlich geht es dem anderen an den Kragen, endlich bekommt er, was er verdient! Jagt ihn durch die Straßen, wir wollen ihn scheitern sehen, wir wollen ihn untergehen sehen! Manchmal im schrecklichsten, weil wörtlichen Sinne. „Kürzen, streichen, einsparen.“ Das sind die Zauberworte der Neidgesellschaft. Es sind ihre Fetische.
Auf Schwache hintreten
Die Schwachen, die man noch mehr schwächt, sollen sich stark fühlen, indem man gemeinsam auf noch Schwächere hintritt. Diejenigen, die sich vor dem Abstieg fürchten, sollen sich obenauf fühlen, weil da immer noch jemand ist, der ganz unten ist. Die Verunsicherten, die nicht nachkommen, die zu langsam sind, die aussortiert wurden, sollen sich mächtig fühlen, indem sie scheinbar mitentscheiden können, wer nicht gebraucht wird in ihrem Land.
Ich habe zwar wenig, aber der andere hat gar nichts. Und selbst, wenn da gar nichts mehr ist, das man ihm wegnehmen könnte, allein die Vorstellung soll beruhigen, ablenken, trösten. Doch die Genugtuung angesichts dessen, dass es andere gibt, denen es noch schlechter geht, macht stumpf, kalt, sie hält nicht lange. Also müssen immer neue Feindbilder ersonnen, immer mehr Sündenböcke erfunden, immer bedrohlichere Angstszenarien geschaffen werden. Die Grenzen werden immer enger gezogen, die geistigen Mauern höher gebaut. Die Sprache wird immer martialischer, brutaler, rabiater. Bis man auf einer Insel sitzt, auf der nur noch die Panik regiert.
Neid baut keine neuen Schulen, schafft keine Arbeitsplätze, senkt keine Mieten. Neid ist kein Versprechen für die Zukunft, sondern ein Garant für den Rückfall in längst überwunden geglaubte gesellschaftliche Zustände, in denen nur der Stärkste durchkommt. Und alle anderen zurückbleiben. Wer in die Neidfalle tappt, sich aufhetzen und entzweien lässt, statt gemeinsam ein besseres Leben zu fordern, schwächt nicht nur andere, er schwächt vor allem sich selbst.