Trostplätze und Trostpflaster
Von Birgit Braunrath
Kennen Sie das? Orte, an die man geht, wenn man gerade nicht weiß, wohin mit sich? Plätze, an denen man stets willkommen ist, auch wenn man sich gerade selbst nicht besonders gern mag? Es sind Kopfsteinpflaster, die wie Trostpflaster wirken. Kreuze, zu denen man nicht kriecht, sondern die einem den Triumph des Gipfelsiegs auskosten lassen. Rastbänke, auf denen man die Schwere liegen lässt, wenn man aufsteht und federleicht weitergeht. Aussichtspunkte, die einem die eigene Bedeutung vor Augen führen, wenn man ins Tal schaut und sieht, wie klein die Häuser sind. Daria und ich haben uns in zehn Jahren wilder Ehe und unentwegter Wanderschaft einige solcher Plätze gemeinsam erobert. Orte, an die es uns zieht, wenn das Leben zehrt.
Die Sorgen aus 2020 schrumpfen
Einer davon ist das Dreifachkreuz. Es steht nicht weit, von wo wir wohnen. Oft haben Daria und ich es links liegen gelassen. Dann kam der Tag, an dem wir zur Krallenpflege zur Tierärztin gingen und im Wartebereich neben einer traurigen Frau mit einem schwer atmenden Hund saßen und warteten und warteten.
Irgendwann kamen die traurige – spanisch sprechende – Frau und ich mit Händen und Füßen ins Gespräch. Und irgendwie kapierte ich, dass sie nicht gekommen war, um dem Hund helfen zu lassen, sondern, um den Hund für immer zu verabschieden. Der Frau liefen Tränen über die Wangen, ihr Hund rang nach Luft, und ich war so sprachlos, dass ich all mein Hände-und-Füße-Spanisch einpackte und der Frau unseren Termin gab, damit sie nicht noch länger warten musste, damit das Unaufschiebbare nicht noch länger aufgeschoben würde.
Dann ging ich mit Daria einfach los, ohne konkretes Ziel. Irgendwann standen wir beim Dreifachkreuz, schauten runter auf die Häuser, und ich sagte: „Gut, dass wir einander haben.“ Daria sagte nichts, dachte aber dasselbe, nehme ich an.
Seither bleiben wir immer bei dem Kreuz stehen. Und als wir uns dieser Tage näherten, gingen wir beide, unabgesprochen, auf das Kreuz zu, obwohl der feuchte Fels rutschig war. Wir schauten runter auf die Häuser, die winzig aussahen und alle Sorgen, die sich 2020 angehäuft hatten, schrumpfen ließen. „Gut, dass wir einander haben“, sagte ich. Und Daria nickte. Oder senkte sie nur den Kopf, um sich das Leckerli zu schnappen, das ich fallen gelassen hatte?