Kolumnen

Schlüssel zum Glück

Daria schnarcht. Beinahe übertönt ihr gleichmäßiges Schlafschnauben das ungleichmäßige Wutschnauben in den abendlichen Fernsehdebatten:

Muss man das Leben weiter „runterfahren“? Soll man die Wirtschaft bald wieder „hochfahren“? – Ständig wird derzeit irgendetwas rauf- und vor allem runtergefahren. Die Corona-Welt ist ein Aufzug, in dem wir nur Passagiere sind und andere die Knöpfe drücken.

Die Natur steigt darauf nicht ein. Die fährt sich selbst nach Belieben rauf und runter, ohne die Regierung zu fragen. Und erweist sich dabei mitunter als beeindruckend unvernünftig: Anfang der Woche gingen Daria und ich durch ein Schneegestöber in den nahen Wald.

Wegen Daria und mir hätte der Himmel seine Schneekanonen echt nicht hochfahren müssen, aber, wie gesagt: Die Natur hört nicht auf Nehammer. Die fährt in einem anderen Aufzug als der Rest von Österreich.

Also marschierten Daria und ich, eher mürrisch, durch den unnötigerweise hochgefahrenen Provinzwinter und stolperten, rein zufällig, über etwas, das wir sonst Jahr für Jahr suchen: den ersten Himmelschlüssel.

Der Himmel geht auf

Eine befreundete Ärztin predigt mir seit Jahren: „Himmelschlüsseltee ist gut gegen Husten!“ Zum Glück haben wir keinen Husten. Also machten wir nicht Tee daraus, sondern ein Erinnerungsfoto.

Denn für mich ist Himmelschlüssel nicht Heilkraut im klassischen Sinn, sondern beinahe im metaphysischen Sinn: Wer sonst würde es wagen, seinen Kopf bei graupeligem Schneeschauer aus der Erde herauszustrecken, dann forsch die Blüten zu öffnen und sich Daria und mir mitten in den Weg zu stellen?

Himmelschlüssel sind mutig und machen Mut. Denn sie erzählen Jahr für Jahr davon, dass der Himmel nicht verschlossen bleibt, egal, wie trist die Lage gerade sein mag. Und das ist ansteckend. Denn als Daria und ich am Freitag wieder vorbeikamen, diesmal bei Sonnenschein, hatten bereits Hunderte Himmelschlüssel ihre Köpfe aus der Erde rausgestreckt und ihre Blüten geöffnet.

Wenn die Natur alles hochfährt, was sie hat, obwohl es schneit, und bei Nacht friert, dann beweist das doch eines: Was wirklich wachsen und werden will, wird sich durch nichts aufhalten lassen.