Kolumnen

Paaradox: Haltet den Dieb!

Sie

Zuletzt wurden wir gefragt, ob wir nicht noch ein Buch über unser paaradoxes Eheleben schreiben wollen. Mit „Liebes-Tipps“ und so. Nun, wir überlegen noch, wiewohl wir in Sachen „Beziehungs-Servicierung“ eher nicht als Weise durch den Garten Eden der Liebe wandeln, im Gegenteil. Aber, immerhin: Mir fiele spontan ein wichtiges Kapitel ein, als dessen alleinige Verfasserin ich mich sehe. Es würde die Überschrift „Alter Genießer“ tragen und sein seltsames Essverhalten erschöpfend thematisieren, von dem an dieser Stelle schon oft die Rede war.

Heißhunger

Apropos: Während ich mich dieser Tage in seiner Selbstfindungs-Klause auf ein Bier eingefunden hatte, verspürte ich akuten Snack-Gusto. Der Mann gegenüber so: Schau in die Lade, da sind Tonnen von Schokolade und Chips. Alles beim Einzug gekauft, nichts davon gegessen. Ich war verblüfft, und erinnerte mich. Als wir noch gemeinsam beim Bingewatching diverser Actionfilme herumlungerten, knusperte er sich vom ersten bis zum letzten Karateschlag durch einen harten Mix aus Gummifröschen, Nougatwürfel und Erdnusslocken. Offenbar war der Gute nun in der Lebensphase Genese durch Askese gelandet. So ganz traute ich meinem Ex-Zuckergoscherl trotzdem nicht. Zu Recht. Als wir am Ostermontag von der liebsten aller Schwiegermütter die traditionellen Schokohasen überreicht bekamen (jeder einen), konnte ich gar nicht so schnell schauen, waren beide vom selbst ernannten Verzicht ist das neue lässig-Apostel auf einen Sitz verputzt. Für mich blieb nur ein Paar Hasenohren. Da fiel mir ein Satz ein, den der angehende Asket stets griffbereit hatte, als er seinerzeit eine Tafel Kochschokolade ruckzuck inhalierte: Schokolade ist Gottes Entschuldigung für Brokkoli. Dazu sage ich heute nur: „Glücklich ist, wer vergisst, dass ein anderer deinen Schokohasen isst“. Kein toller Reim, aber ein schönes Selbsthilfe-Mantra für Menschen, die um ihr Ostersüßi betrogen wurden.

Er

Meine Frau schreibt tatsächlich: Für mich blieben nur ein paar Hasenohren. Ein Indiz für humorbide Realitätsflexibilität. Also: Wir saßen bei meiner Mutter, tranken ein österliches Achtel Veltliner, plötzlich meldete gnä Kuhn eine Hungerattacke. Daraufhin verzehrte sie mit einer Hingabe ein Frischkäsebrot, als würde sie im dänischen Noma, dem weltbesten Restaurant, Wachtelei in gesalzenen Bärlauchblättern oder gefüllte Zucchiniblüte im Tempuramantel verkosten. Kaum war der letzte Krümel verputzt, verkündete sie: Jetzt wär’ noch irgendwas Süßes fein. Da sich die Schwiemu allerdings gerade im harten Naschentzug befindet, blieb nur der Schokohase – und es geschah, was immer geschieht: Meine Frau entfernte ein kleines Stück Folie … und biss dem Tier herzhaft die Ohren ab. Klar, kann man so machen. Allerdings war damit ihre Gier nach Süßem gestillt. Und zwischen unseren Weingläsern saß fortan ein verstümmelter Hase,  als Mahnmal für kuhn’sche Dessert-Desaster. Sie isst nämlich prinzipiell nur zwei Schnitten, drei Gummibären oder eine halbe Reiswaffel und begnügt sich in Lokalen mit der Ansage: Für mich keine Nachspeise, ich koste bei meinem Mann.

Knusperhöhle

Mein Problem: Ich kann das nicht sehen. Die Vorstellung, den Hasen in diesem Zustand in irgendein Kasterl zu verräumen, verletzt meine Genuss-Ehre. Sie sagt dann: Wurscht. Ich antworte: „Nicht wurscht.“ Und diese Pattsituation ist unmöglich aufzulösen. Das ist auch der Grund, warum es in meiner Knusperhöhle entweder ein leeres Sackerl Erdnusslocken gibt, oder ein volles. Wenn nämlich – wie zuletzt – in mir nicht die tiefe Ratzeputz-Überzeugung vorhanden ist, fange ich gar nicht erst an. Eine Philosophie, an der sie als treue Anhängerin der Nur-ein-Fuzzi-Lehre bis heute ordentlich zu knabbern hat. In diesem Fall aber ließ ich mir den gesamten Keinohrhasen auf meiner Zunge zergehen. Ich rettete also seinen Stolz. Und meinen.