Eine Frage, die man niemals stellen sollte
Von Mirad Odobašić
Ich gestehe, ich war vorgewarnt. Die Frau redet gerne. Und viel. Sehr viel. "Papa, diese Frau redet ja mehr als ich!", stellte einst mein damals 7-jähriger Sohn fest, nachdem wir den Balkan-Imbiss unseres Vertrauens verlassen hatten.
Der Sohnemann steckte damals in einer Phase, in der er laut seinem Opa sogar beim Tauchen im Pool quatschte. Der Kleine hat diese Phase hinter sich, die Imbiss-Besitzerin aus Rudolfsheim-Fünfhaus leider nicht. Das musste ich neuerdings feststellen.
"Oho, junger Mann, nur hereinspaziert", rief sie mir aus der Küche zu, als sie mich an der Ladentür sah. "Nimm doch Platz", sagte sie, während sie den Burek-Teig rollte. Ich nahm Platz im komplett leeren Imbiss. Sie würde keine Zeit für mich haben, dachte ich mir. Also ließ ich mir den köstlichen Burek – den womöglich besten in Wien – servieren und nahm auf einem der wenigen Tische Platz. In einer Viertelstunde wollte ich wieder gehen.
Dann aber tauchte der Mann der Besitzerin, den ich bis dato kaum kannte, plötzlich auf und begann einen Smalltalk. Seine Frau warf eine Anekdote aus dem Krieg ein - beide (üb)erlebten die Belagerung Sarajevos -, er rollte mit den Augen. Ich atmete durch. "Gut, er will nicht darüber reden", dachte ich. Was ich nicht wissen konnte: Als junger Soldat wurde dieser Mann schwer verwundet nach Wien geflogen.
Ich beging einen kardinalen Fehler und fragte, wie es so weit, also zum Krieg, kommen konnte. Eine Frage, die man Ex-Jugoslawen auf keinen Fall stellen sollte. Das Ehepaar redete sich in Rage, sprach über Schuld und Sühne, versetzte mich in eine Trance. Ich wollte nur weg von dort, weg von Erinnerungen, weg von der x-ten Kriegsgeschichte in meinem Leben. Ich riss alte Wunden auf. Wunden, die wohl niemals heilen.
Ich verließ den Laden erst nach einer Stunde, mit vollem Magen und Schmerzen eben in dessen Bereich. Selbst schuld.