Kolumnen

Johannas Fest: Wenn Gastgeber beim Trinkgeld knausern

Ingrid ist eine ebenso kluge wie sympathische und hilfsbereite Rechtsanwältin. Vor zwei Monaten hat sie Martin, einem Investmentbanker, den Kontakt zu einer Freundin gelegt. Diese wusste nicht, wie sie die eine Million anlegen sollte, die sie gerade aus einem Hausverkauf lukriert hatte. Ingrid hat ihr Martin, dem sie auch ihr Erspartes anvertraut, empfohlen. Die beiden kamen kurze Zeit später ins Geschäft.

Zum Dank lud Martin Ingrid in eines der Top-3-Lokale Wiens zu einem elfgängigen Dinner ein. Kostenpunkt 350 Euro pro Person, wie sie später auf der Website recherchierte. Jeder Gang war eine kleine Sensation für den Gaumen, das äußerst zuvorkommende Personal Labsal für die Seele.

Sehr konservativ geschätzt, musste die Rechnung mit Getränken etwas mehr als tausend Euro ausgemacht haben. Martin bezahlte mit der Kreditkarte und legte dann zehn Euro Trinkgeld in bar auf den Tisch. Ingrid „fremdschämte“ sich in Grund und Boden für ihren Gastgeber.

„Ob sie wohl was dazulegen sollte?“, überlegte sie kurz. – Nein, das geht gar nicht. Das wäre wie eine unausgesprochene Zurechtweisung. Zumindest würde sie damit klar zum Ausdruck bringen, was sie von Martin nach dieser an sich sehr großzügigen Einladung hielt: Nach außen Prunk und Protz, im Umgang mit Personal unverfroren knausrig. Kurz: Kein Mann von edlem Format!