Kolumnen

Johannas Fest: Vom Brechen des sozialen Fastens

Wer schon einmal eine Heilfasten-Kur nach Dr. Buchinger absolviert hat, weiß, dass der Übergang zur Normalkost schrittweise erfolgen muss und dass das viel Disziplin erfordert. Statt Deftigem steht nach den dünnen Suppen als erstes Mahl meist ein gedämpfter Apfel auf dem Menüplan. Aber was auch immer beim Fastenbrechen zwischen die Zähne kommt, empfinden die meisten als Festmahl.

Meinem Mann und mir hat es in den vergangenen Wochen der Beschränkungen an nichts gefehlt, außer an gemütlichen Treffen mit Freunden. Wir haben unsere täglich selbst produzierten Mahlzeiten allein zu zweit verzehrt, waren immer physisch satt, aber der soziale Hunger ist mit der Zeit gewachsen. Schließlich laden wir gerne Freunde nach Hause ein und genießen umgekehrt auch Einladungen im privaten Rahmen als Gäste sehr.

Vergangenen Dienstag mussten wir plötzlich unser beschauliches Landleben, an das wir uns zunehmend gewöhnt hatten, abbrechen. Es galt, nicht länger aufschiebbare Angelegenheiten in der Großstadt zu erledigen. Auf der Fahrt nach Wien überlegten wir, wie wir das Nötige mit dem Angenehmen verbinden könnten. Wir beschlossen, asiatisches Essen zu bestellen und es mit Freunden zu teilen. Das Gute ist, dass die meisten Freunde derzeit ebenso leere Terminkalender haben wie wir. Ich rief Christian an und fragte, ob er Lust hätte, am Abend mit uns Essen vom Lieferdienst zu verzehren. Er lud uns ganz spontan in seine vor Kurzem neu angemietete Innenstadtwohnung ein. Der Kunstsammler und -händler hat den Tisch festlich gedeckt, servierte das vom Fahrradboten zugestellte Essen auf seinem schönsten Porzellan und kredenzte Weine, die einfach Freude machen. Mit von der Partie war auch Freund Victor, ein Arzt.

Der Tisch war so gedeckt, dass wir alle 1,5 Meter Abstand zueinander hatten. Und natürlich verzichteten wir trotz überschwänglicher Wiedersehensfreude auf Umarmungen.

Neue Mahlverwandtschaften

Während wir uns an koreanischen Teigtäschchen, Papayasalat, knuspriger Ente und Reisnudeln mit Rindfleisch delektierten, tauschten wir uns darüber aus, wie wir mit der aktuellen Situation so umgehen.

Victor, der als Arzt ganz besonders vorsichtig ist, hat für alles ein Rezept: „Wir sehen auch Leute, aber nur wenige. Ihr müsst ein paar Freunde zu eurer Mahlverwandtschaft machen; einen kleinen Kreis, bestehend aus maximal zehn gut ausgesuchten Personen bilden, die ihr dann jeweils nur zu je zwei trefft.“ Das Auswahlkriterium sei nebst Sympathie auch der Grad an Risikobewusstsein und Achtsamkeit, den potenzielle Mahlverwandte an den Tag legen.

Klingt etwas umständlich, lohnt sich aber wohl, denn „selbst wenn man via Facebook mit Brad Pitt oder Angelina Jolie kommuniziert, ersetzt das keine reellen Räume und keine wirklichen Menschen“, weiß der Architekt und Gastlichkeitsexperte Gregor Eichinger, der in Wien an die zwanzig Lokale um- und gebaut hat. „Das Internet täuscht Wärme vor, aber wir müssen uns wieder spüren, wir brauchen uns physisch“, so sein Befund.

Auch wenn das Wort „kontaktlos“ gerade zu einem Qualitätssiegel avanciert ist und es vermutlich noch lange dauern wird, bis wir uns wieder fest umarmen und abbusseln werden, ist das persönliche Treffen bei Wahrung aller gebotener Distanz ein echtes Fest. – Ein Fest, weil wir die Freunde endlich wieder von Angesicht zu Angesicht sehen, im unverzerrten O-Ton hören und gemeinsam live genießen können!