Johannas Fest: Mediterrane Kost im Flockdown
Von Johanna Zugmann
Vor zwei Wochen kam unsere Freundin Cristina von einem mehrmonatigen Heimataufenthalt in Barcelona zurück. Nach der vorgeschriebenen Quarantäne-Zeit besuchte uns die ebenso fröhliche wie umtriebige 32-Jährige. Weil die Gastronomen- tochter, deren Eltern bis zum Pandemie-Ausbruch 2020 drei Restaurants betrieben haben, um unsere kulinarische Vorliebe Bescheid weiß, kam sie mit edlen Gaben aus dem Meer. Cristina beschenkte uns unter anderem mit einer Meeresfrucht, der ich als Schwimmerin weiträumig ausweiche: Erizos de Mar, Seeigel.
An meine erste kulinarische Begegnung mit den stacheligen Gesellen kann ich mich noch genau erinnern: Es war während eines mehrmonatigen Aufenthalts als Reiseleiterin in Mallorca. Miguel, ein braun gebrannter muskulöser junger Fischer, hatte mich zu einer Bootstour eingeladen. Mittags gingen wir an Land und ließen uns auf einem Felsen nieder. Von einem kurzen Tauchgang kehrte Miguel mit einem prall gefüllten Netz wieder. In einem Affentempo hatte er die Seeigel halbiert und ihrer Stacheln beraubt. Schon allein die Optik der essfertigen Delikatesse war beeindruckend:
fünf sternförmig angeordnete, ockergelbe bis orangefarbige Zungen leuchteten mir entgegen. Es sind die Fortpflanzungsorgane der wirbellosen Tiere und nur diese werden gegessen. Auf dem Gaumen imponierte die körnig-cremige Textur mit einem vordergründig salzigen und umami Geschmack und in diesem Setting mit den leise heranrauschenden Wellen und dem strahlenden Sonnenschein war das Picknick ein durchaus sinnliches Vergnügen.
Stachelige Delikatesse
Wer beim Schwimmen oder Schnorcheln den dicht von Seeigeln bewohnten Felsen ausgewichen ist, kann sich wahrscheinlich kaum vorstellen, warum es Fangquoten und Schonzeiten für diese Lebewesen gibt. Schließlich sind 950 Arten Seeigel bekannt und sie kommen in fast allen Küsten- gebieten der Welt vor. Kulinarisch verwertet werden aber nur wenige. Im mediterranen Raum kommen meist Steinseeigel oder schwarze Seeigel auf die Teller, im Nordatlantik ist es der sogenannte „Essbare Seeigel“.
Im Süden Europas sind die Geschlechtsdrüsen der Seeigel roh oder in Salzwasser gekocht mit einem Spritzer Zitrone gewürzt als Vorspeise beliebt. In der japanischen Küche stehen sie unter der Bezeichnung „Uni“ auf der Speisekarte und werden in unterschiedlichen Gerichten verwendet. Jedes Jahr lassen sich Gourmets weltweit den Kaviar von 100.000 Tonnen Seeigeln auf der Zunge zergehen.
Diese Meeresfrucht zu genießen sei weder essen noch trinken, sondern das Einatmen des Ozeans mit all seinen Gerüchen und Geschmäckern, schrieb der spanische Dichter Julio Camba (1884 –1962) sinngemäß in seinem Buch „La Casa de Lúculo oder die Kunst des Essens“ 1929. Hundert Jahre später gilt die Delikatesse unter Gourmets als Kultobjekt der Begierde.
Cristina hat uns nicht nur vier Dosen „Caviar de Erizos de Mar“ mitgebracht, sondern sich sofort hinter dem Herd ans Werk gemacht. Mit feinst geschnittener Zwiebel, klein gehackten getrockneten Paradeisern sowie dem Inhalt einer Dose zauberte sie eine köstliche Pastasauce, die so intensiv nach Meer schmeckte, dass der Gaumen Samba tanzte. Was für ein Fest, mitten im tief verschneiten voralpenländischen „Flockdown“!
Ob das noch zu toppen ist? – Sobald wir wieder reisen dürfen, das haben wir beschlossen, fliegen wir mit Cristina in ihre katalonische Heimat, wo wir uns die frisch gefangenen kugeligen Stachelhäuter in einem der zahlreichen Haubenlokale an der Küste schmecken lassen werden!