Johannas Fest: Königin für einen Tag
Von Johanna Zugmann
Am 5. Jänner läutete es am Morgen an der Haustüre. Nach den vielen besuchfreien Monaten rechneten wir allenfalls mit einem Post- oder Paketboten. Aufgrund des bevorstehenden Feiertags allerdings hätten es natürlich auch die Spenden sammelnden Sternsinger gewesen sein können.
Vor der Tür stand aber unsere liebe Freundin Lilou mit einer großen weißen Schachtel. „Ich habe Euch eine ,Galette des Rois‘ gebacken“, sagte sie und übergab uns den verführerisch duftenden Karton. Lilou hat viele Jahre in Brüssel gelebt und sich dort zur großen Gaumenfreude ihres Bekanntenkreises ständig kulinarisch weitergebildet. In Belgien ist das Backen einer „Galette des Rois“ (Königskuchen) ebenso Tradition wie in Frankreich. Dort wird sie das erste Mal am 6. Jänner, dem Dreikönigstag serviert.
Im Süden Frankreichs wird der Königskuchen aus Brioche-Teig hergestellt, und zwar in zwei Varianten: Brioche nature in Form eines großen Rades mit Zuckerstreusel oder den provenzalischen Dreikönigskuchen mit kandierten Früchten.
Lilou hat die im Norden Frankreichs beliebte Variante der „Galette feuilletée“ aus Blätterteig gebacken. Der Teig wird mit einer Creme aus geriebenen Mandeln, Butter, Zucker und optional einem Schuss Rum oder Orangen-Likör bestrichen. Gelungen ist unserer Freundin ein Meisterwerk, nicht nur was Gaumenfreude, sondern auch was Augenschmaus betrifft: golden glänzend wie die Sonne und makellos kreisrund wie vom Zirkel gezogen liegt das Backwerk in der schönen weißen Schachtel.
Die Krönung
„Fast hätte ich das Wichtigste vergessen“, sagte Lilou und zauberte aus ihrem Shopping-Bag zwei Kronen aus Pappendeckel hervor. „Die Krönung des Kuchens?“, fragten wir amüsiert. „Nein, die Krönung für diejenige oder denjenigen, der das Kuchenstück mit dem gewissen Etwas bekommt.“
Das gewisse Etwas ist entweder eine rohe Fève (Saubohne) oder ein kleines Porzellanfigürchen, das in die Galette eingebacken wird.
Wer sie in seinem Kuchenstück findet, wird König oder Königin für einen Tag, darf die Pappkrone aufsetzen und sich seinen König oder seine Königin aussuchen, Partner, die natürlich ebenfalls gekrönt werden.
Damit nicht genug: Wann immer die frisch gebackenen „Royals“ ihr Glas erheben, muss die Tischgesellschaft „Le roi boit“ (Der König trinkt) rufen. – Eine Riesenhetz, genügend mitspielende Untertanen vorausgesetzt.
Es ist auch Brauch, ein „Armenstück“ oder das „Liebe-Gott-Stück“ für überraschenden Besuch aufzusparen. Mit solchem rechneten wir in Zeiten wie diesen nicht und drehten den Brauch daher um: Nach der Devise „wenn keine Leute zum Kuchen kommen, kommt der Kuchen zu den Leuten“ brachten wir das feine Backwerk zu unserer Freundin Liesi. Die Bäuerin ist vierfache Mutter und lebt gemeinsam mit zwei ihrer erwachsenen Kinder und drei Enkelkindern am Hof. Wir baten darum, uns zwei „Armenstücke“ abzuschneiden und den Rest in der Familie zu verteilen. Gott sei Dank verblieb der „Königsmacher-Teil“ bei den Beschenkten. Die kleine Freya habe das große Los gezogen und ihr gekröntes Dasein unendlich genossen, erzählte uns Liesi am nächsten Tag und schickte über WhatsApp ein Video.
Eins steht fest in unserer sonst so unplanbaren Welt: Während Freya für einen Tag zur „Royal“ avanciert war, avancierte die „Galette des Rois“ zum „Must have“ für alle künftigen „Heilige-Drei-Könige-Tage“!