Kolumnen

Johannas Fest: Boomende Bowls

Zu Festen – in unserer Großfamilie gab es ständig was zu feiern – tafelten wir an mehreren aneinander geschobenen Tischen im Esszimmer. Mit Freunden waren schnell zwanzig Leute zur gemeinsamen Mahlzeit versammelt. Meist gab es Tafelspitz, weil sich der gut vorbereiten lässt. Natürlich kamen Suppe, Rösti, Fleisch, Spinat, Schnittlauchsauce und Apfelkren in Schüsseln auf den Tisch. Sich selbst aus der Schüssel zu bedienen, hat den Vorteil, dass man nur das nimmt, das – und davon nur so viel, wie – man möchte. Eine der wichtigsten Tischregeln war die umgehende Weitergabe der Schüssel – je nach Abmachung im Uhrzeigersinn oder gegen diesen.

Wehe, wenn ein unachtsamer Kumpane die Unterbrechung der Lieferkette verursachte: Schrille Ordnungsrufe waren noch die geringste Pönale! Stand das Essen aus (gemeinsamen) Schüsseln lange Zeit als Symbol für die einfache Tafel, setzt das Gefäß seit einigen Jahren als „Bowl“ zum Eroberungsfeldzug an. Die Neu-Interpretation der Schüssel hat allerdings nichts mit der gemeinsamen Mahlzeit und dem identitätsstiftenden Familientisch zu tun. Sie ist eine maßgeschneiderte Antwort auf die Versingelung und Individualisierung unserer Gesellschaft, auf die sich auflösenden fixen Mahlzeiten, die immer spezieller werdenden Ernährungsgewohnheiten und das globalisierte Angebot an Lebensmitteln. Mittlerweile schießen Bowl-Restaurants oder -Abholstellen wie Pilze aus dem Boden. 171 Treffer ergab eine aktuelle Abfrage in einem Wiener Lokalführer.

Das schier unerschöpfliche Angebot reicht von der Buddha-Bowl für die Gesundheitsbewussten, die Power-Bowl mit Superfoods für Yogis, bis zur hawaiianischen Poké-Bowl. Im besten Fall ist die Bowl wie Urlaub in der Schüssel. Es schmeckt nicht nur gut, sondern sie ist in ihrer ästhetischen Aufbereitung auch noch „instagramable“. Widerstand gegen das Handy bei Tisch? – Zwecklos!