Kolumnen

Johannas Fest: Achtsamkeit statt Genussaskese

Vergangene Woche war ich wieder einmal zu Besuch bei Elke und Marietta; zwei Genießerinnen par excellence. Die beiden Freundinnen logieren im Sommer in Mariettas Haus an der Alten Donau. Den Grund um das Eigenheim hat die pensionierte Professorin zu einem regelrechten Garten Eden verwandelt. Vom Feigenbaum profitieren auch die Nachbarn: Gut zehn Kilogramm hängen an den Ästen und werden derzeit gerade essreif. Passionsfrüchte sind ebenso zum Pflücken da wie riesige saftige Zitronen. Im Beet vor der Südmauer wuchern fünf verschiedene Sorten Salbei, der vor einem Jahrzehnt gepflanzte Rosmarin hat schon ein Baumausmaß erreicht und ein paar Palmen in Töpfen verströmen mediterranes Lebensgefühl.

Das Glück perfekt macht ein kleines Elektroboot, das im blickdichten Schilf schaukelt. – Herz, was willst du mehr?

Für Gemüse ist allerdings kein Quadratzentimeter Erde übrig in Mariettas exotischem grünen Paradies. Deshalb beschlossen die beiden unternehmungslustigen Damen vergangenes Jahr ein Feld im Süden Wiens anzumieten. Bepflanzt haben sie die dort errichteten Hochbeete eigenhändig mit Paradeisern, Karotten, Gurken, Zucchini, Erdäpfeln, Fisolen, Melanzani und Paprika. Gott sei Dank kümmert sich ein Nachbar ums Gießen, sonst wären die gelegentlichen Kulturreisen nach Bayreuth, Mailand oder Hamburg nicht drinnen. Die Ernte, den wohl freudvollsten Teil aller gärtnerischen Bemühungen, erledigen sie natürlich selbst. Am Dienstag kamen sie bepackt mit Steigen voller Gemüse aller Art an. „Da schau, jetzt haben wir wieder den richtigen Zeitpunkt für die Fisolenernte verpasst“, bedauert Elke. Kopfschüttelnd klaubt sie ein paar dicke, lange Stangen heraus, unter deren Hülle sich schon dicke reife Bohnen wölben. „Wir haben eben noch keine Erfahrung“, konstatiert sie achselzuckend.

„Grüne Kochkunst“

Erfahrung braucht nicht nur die Gemüse-Anzucht, sondern auch dessen Zubereitung. Bis vor zwei Jahren hat Elke Canapés mit Gänseleber als Ouvertüre zu mehrgängigen Menüs mit Hauptgang Kalbsbraten oder Rinderfilet Wellington kredenzt.

Seit Ausbruch der Pandemie machen sich immer mehr Menschen Gedanken über ihre Ernährung, über Nachhaltigkeit und die Zukunft unseres Planeten.

Die im ersten Lockdown erwogene Option, Vegetarier- oder gar Veganerinnen zu werden, haben die beiden Hedonistinnen inzwischen wieder verworfen. Dafür nennen die nunmehrigen Flexitarierinnen zwei Gründe: Fleisch schmeckt nun einmal auch gut und außerdem ist es schwieriger und aufwendiger, Gemüse zur Delikatesse zu machen, als Steaks zu braten. „Grüne Kochkunst“ sei gefragt.

Vor allem wenn sie Freunde bewirten, kommt auch Tierisches auf den Tisch – natürlich nur aus bestem Stall, regional und bio. Schließlich sind die leiden- schaftlichen Gastgeberinnen Herdkünstlerinnen, die am Haubenniveau, auf dem sie Fleisch zubereiten, bei der Verarbeitung von Grünkohl, Steckrüben und Pastinaken noch etwas arbeiten müssen.

Marietta und Elke halten im Übrigen nichts von Ökofundis, die ihre Ernährungsweise als Doktrin verbreiten. Sie verstehen sich als Genuss- Liberalistinnen. Und ganz nach ihrer Überzeugung „Wer nicht genießen kann, ist ungenießbar“ setzen die Freundinnen auf „nutritive Achtsamkeit statt Genussaskese“.

Glaubenskriege seien am Esstisch ohnehin fehl am Platz, sind die beiden überzeugt. Toleranz gewürzt mit einer Prise Weltoffenheit laute das Erfolgsrezept. Und das nicht nur am Esstisch!