Kolumnen

Fabelhafte Welt: Wunderliches in unserem Wohnzimmer

Viele verwunderliche Dinge passieren zurzeit, doch das Verwunderlichste geschieht in unserem Wohnzimmer: Der Dottore Amore treibt Sport. Als ich ihn kennenlernte, bestand sein Arm-Work-out aus dem Zum-Munde-Führen von Espresso-Tassen. Sein Cardiotraining war Stiegensteigen unter erschwerten Bedingungen, das heißt  mit einer Zigarette im Mund. Mein ausgeprägter Bewegungsdrang zählte nicht zu den Gründen, wegen derer er mich geheiratet hat, sondern trotz derer. Seit unserer Hochzeit schleppte er sich gelegentlich missmutig ins Fitnessstudio, weil ich ihm drohte, im Alter mit einem sexy Tennislehrer anzubandeln, falls er am Sauerstoffgerät ende. Doch nun begibt er sich an allen nachtdienstfreien Tagen mit mir auf die Sportmatte. Ich bin unsicher, ob ich mich darüber freue. Denn seine Motivation ist reiner Hass. Ich komme mit Social Distancing gut zurecht, alleine zu Hause sitzen können, ist eine Voraussetzung, um Bücher zu schreiben, doch der Dottore Amore ist Süditaliener, das heißt am glücklichsten, wenn möglichst viele Menschen möglichst nah aufeinander pickend möglichst laut durcheinanderreden. Für ihn ist die neue Normalität der größte Alptraum. Und weil er sowieso unglücklich ist, macht er nun das, was ihn noch unglücklicher macht: Sport. Sein Aufwärmen besteht aus ausgiebigem Fluchen. Beim Hampelmann-Hüpfen schimpft er, warum ich ihn so schlecht behandle, zwischen zwei Liegestütz brüllt er, dass „Eheglück“ anders aussähe, und bei den Bauchmuskelübungen schreit er, dass das eheliche Gewalt sei. Die letzte Viertelstunde hat er dann keine Kraft mehr zum Reden, sondern fixiert mich mit so kalten Augen, dass ich mit einer Scheidung rechne.

Nach dem Duschen jedoch küsst er mich euphorisch und dankt mir für das super Work-out. Ich kann mir das höchstens mit einer mathematischen Regel erklären: Minus mal Minus ergibt Plus.

vea.kaiser@kurier.at