Lektion 13: Was Mohnblumen mit dem Erinnern zu tun haben
Von Anna-Maria Bauer
Ich werde sie nicht vergessen; die roten Schleifen, die eines Tages Ende Oktober in einem Schüsselchen auf dem Lehrertisch saßen.
Denn es ist so: Als Englischlehrerin in England ein englisches Wort ad hoc nicht parat zu haben, ist nicht zu empfehlen. Es führt zu Herzrasen und einem Tomatenkopf und kann nur so oft durch eifrige Schülerinnen und Schüler abgefangen werden, die das richtige Wort herausrufen. Nur noch unangenehmer sind die Momente in der Klassenvorstandsstunde, wenn man Kindern eine britische Tradition erklären soll, von der man selbst nicht gehört hat.
Nicht vergessen
„Und“, fragt die Lehrerkollegin in der Mittagspause, „was haben deine Kinder auf die Schleifen geschrieben?“ Geschrieben?! Herein mit euch, Herzklopfen und Tomatenkopf. „Na für den Remembrance Day“, sagt sie. „Die wir am 11. November an den Zaun hängen.“
Der Remembrance oder Armistice Day, ergibt die panische Google-Suche, ist ein Gedenktag für britische Soldaten, die im Kampf für das Land gefallen sind. Einst war er dem Ersten Weltkrieg gewidmet. Daher kommen die Mohnblumen, die sich Briten im Herbst ans Revers oder den Kühlergrill heften. Der Mohn hatte auf den Schlachtfeldern geblüht.
Zur zweiten Klassenvorstandseinheit nach der Mittagspause werden die Schleifen selbstsicher ausgeteilt. Nahezu unaufgefordert greifen die Kinder zum Kuli, beginnen Thank you oder Lest we forget daraufzuschreiben. „Also!“, ruft das Mädchen in der hintersten Reihe, „wir haben uns gewundert, wann wir das machen. Die anderen haben es am Vormittag gemacht!“ Keine Schwäche bleibt ungesehen.
Beim Absammeln der Schleifen beugt sie sich vor. Welche Kritik hat sie nun? „Miss“, flüstert sie, verunsichert. „Was heißt eigentlich ,Lest we forget‘?“
Ha, endlich einmal vorbereitet: „Damit wir nicht vergessen.“