Online-Theater: Schwieriger aufeinander einzugehen
Von Heinz Wagner
Wir spulen zehn Jahr vor. 2030 ist der Ausgangspunkt von „Blackbirds“ – Untertitel: Ein anderes Leben ist möglich“. Sieben Jahre zuvor gab’s Revolutionen – in Wien spalteten sich die Bezirke 2 und 20, die auf einer Insel zwischen Donau und Donaukanal liegen, als „Wasserbezirke“ vom Rest der Stadt ab. In Paris sind’s sogar vier Bezirke. Kern der Revolutionen: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“. Naturnaher, umweltbewusster – in Richtung Subsistenzwirtschaft – Nahrung selber produzieren, Konsumwahn überwinden, hinter sich lassen, gar kein Autoverkehr. Ehrlicher, solidarischer miteinander umgehen …
Ein Dialog von „Insel-Bewohner_innen“ mit Menschen aus dem (noch) nicht befreiten Teil der Stadt, aber auch mit Vertreter_innen der Stadtverwaltung ist angesetzt.
„Blackbird“ heißt übrigens zu Deutsch Amsel und ist der Titel eines frühen Beatles-Songs der sich gegen die Diskriminierung einer afroamerikanischen Frau richtet. So heißt aber auch ein im Vorjahr erschienener deutscher Jugendroman, dessen Hauptfigur zwischen Liebe und Tod zweier ihm nahestehender Menschen pendelt.
Lange Live-Proben
Das war die Grundgeschichte, die der Regisseur in die Theaterwerkstatt WildWechsel:Company einbrachte. Gemeinsam mit den zehn jugendlichen Mitwirkenden und der Regie-Assistentin wurde dieses Gerüst mit Leben und Charakteren erfüllt. Über Monate hinweg gemeinsam und live im analogen Probenprozess. Oder in kleineren Gruppen – vor allem die Arbeit an den Charakteren.
Plötzlich alles anders
Dann kam … wir wissen’s. Damit war’s aus mit dem Theater-proben und -spielen in einem gemeinsamen Raum. Also halt einem realen Raum. Wie viele und vieles erfolgte die Verlagerung in Online-Video-Sessions. Und am Wochenende (Sonntag, 3. Mai 2020) die Ausstrahlung eines Videos – entstanden bei einem Durchlauf – wie Theaterproben heißen, wo das ganze Stück in einem Zug durchgespielt wird. Aus einem Dutzend Wohnungen mit ebenso vielen Monitoren.
Parallelen zur neuen Wirklichkeit
Von da her spannt sich ein Bogen zum Grundgedanken des Stücks. Die Bewohner_innen der „Wasserbezirke“ wollen unter anderem weg von „Künstlichkeit“, deswegen wollen sie sich auch nicht fotografieren lassen – vor allem nicht von den Tourist_innen, die sich die Revolutions-Insel anschauen kommen – wie eine Art kuren Abenteuer-Ausflug. Wobei sich da auch bei den „Revolutionär_innen“ Widersprüche auftun, gibt’s unter ihnen doch eine leidenschaftliche Fotografin. Was zur Diskussion um Regeln führt.
Und nun – durch Corona und die eh schon wissen Maßnahmen – müssen und wollen sich alle, die sich dagegen wehren, fotografiert und gefilmt zu werden, die ganze Zeit filmen lassen!
Neue Aktualitäten
Auf der anderen Seite wird die Frage von Versorgung mit Lebensmitteln aus der unmittelbaren Region oder gar dem selber Anbauen von Gemüse und Obst – aus ganz anderen Gründen – viel breiter gesellschaftlich diskutiert.
Online-Gespräch mit Beteiligten
Der Kinder-KURIER durfte bei einer Durchlauf-Probe dabei sein und danach die Mitwirkenden befragen. Vieles drehte sich um die krasse Verlagerung vom gemeinsamen analogen Spiel in den virtuellen Raum.
Die Stimmen der Jugendlichen und des Regisseurs:
„Ziemlich arg, niemand von uns hat das vorher je gemacht, aber es funktioniert ganz gut, es ist eine interessante Erfahrung. Besser wär’s aber schon auf der Bühne.“
„Es hat mehrere Nachteile: Es ist viel schwerer über die Rollen zu reden und man folgt viel mehr auf Anweisungen und achtet weniger auf das Team.“
„Zum Glück war das Stück vorher (den Ausgangsbeschränkungen) schon grob fertig, auch der Text, so mussten wir uns nur umstellen, ihn in die Kamera zu sprechen und uns alle nur über die Bildschrime zu sehen.“
„Es ist schwieriger, aufeinander einzugehen als wenn wir einander gegenüber stehen und im selben Raum sind. Dort sieht und spürt man immer alle und nicht jede und jeden auf einem individuellen Bildschirm. Da kann man sich nicht auf alle gleichzeitig konzentrieren.“
„Es gibt viel weniger Interaktion, es ist weniger live und Emotionen lassen sich auch nicht so leicht rüberbringen.“
„Wir sehen uns doch direkt live und viel besser als auf der Bühne – nämlich alle von vorne.“
Infos: Was? Wer?
Blackbirds
von Wildwechsel:Company Dschungel Wien
Regie, Bühne, Licht: Klaus Huhle
Darsteller_innen:
Chandra Birkhan-Dhellemmes, Antonia Brandl, Lara Drobics, Gabriel Kralik, Elsa Romen, Elisa Svoboda, Mia Topalović, Jana Unterkircher, Sascha von Manteuffel, Amelie Wolf
Regie-Assistenz, Choeografie: Naima Rabinowich
Hospitanz, Kostümberatung: Alina Hagenschulte
Dank an Gilbert Handler für die Musikkomposition, Monika Buttinger für die Kostüme, Julia Riederer für das Kostümdesign.
Mehr Infos zum Online-Festival – auch der anderen Werkstätten – siehe hier unten: