Nicht gerade einfache Wege zu Pflichtpraktika
Von Heinz Wagner
Milesa Posinger schickte mehr als ein halbes Dutzend Bewerbungen ab – Absagen oder „Angebote“ ohne Bezahlung waren die Antworten. Onur Okay kam vor allem „über private Connections zu meinen Praktikumsplätzen“. Seit einem halben Jahrzehnt müssen SchülerInnen berufsbildender mittlerer und höherer Schulen in Pflichpraktika Erfahrungen in der Berufswelt als Ergänzung zur schulischen Ausbildung sammeln.
In den technischen Schulen gestaltet sich das Finden von Stellen relativ leicht – Stichwort Fachkräftemangel. In den kaufmännischen Schulen, insbesondere den mittleren, also den Handelsschulen, gestaltet sich die Suche nach Jobs, und es handelt sich hierbei nicht um Schnuppertage, sondern um arbeitsrechtliche Dienstverhältnisse, nicht immer gerade einfach.
Vor der Schlussprüfung erforderlich
Mehr als 45.000 Jugendliche brauchen unbedingt Praktikumsplätze – Schülerinnen und Schüler der Handelsakademien (im Ausmaß von 300 Stunden), jene der Handelsschulen (die Hälfte, also 150 Stunden). Seit mehr als fünf Jahren – mit der letzten Lehrplanreform 2014 – sind diese Erfahrungen in der Berufswelt Voraussetzung, um überhaupt zur Abschlussprüfung antreten zu dürfen. Die beiden genannten und zwei weitere Jugendliche aus zweiten und dritten Klassen der Handelsschule Augarten (Vienna Business School, VBS, Wien-Leopoldstadt) haben ihre benötigten Praktikumsplätze letztlich doch gefunden und mit Ausnahme von Tayfun Ertanir („ich hab’s noch vor mir“) schon absolviert.Tamara Bosnjaković hat bei der Post und bei Ö3 praktiziert, „dort hab ich Schultüten eingepackt“. Onur Okay und Milesa Poisinger haben in Lokalen einer bekannten, weltweiten Fast-Food-Kette gejobbt – „alles außer Küche und putzen“.
Hilfe durch die Schule
Die zuletzt genannten Praktikumsplätze sind nicht zuletzt der engagierten (Mit-)Hilfe von Lehrpersonen der Schule zu verdanken. Marion Maurer und ihre KollegInnen Gunnar Hamann und Claudia Tusek haben mit einigen Unternehmen – vor allem einer Fast-Food-Kette – Kooperationen vereinbart. Sieben SchülerInnen haben dort ihr Praktikum gemacht. Es gibt Potenzial für bis zu 35 Jugendliche pro Schuljahr – in der Regel ein Monat in den Sommerferien, womit die Hälfte eines Jahrgangs bedient wäre. Nicht selten führen diese Praktika in der Folge zu geringfügigen Teilzeitjobs neben der Schule.
Kundenkontakt, Umgang mit Stress
Auf die Frage, was die Praktika gebracht hätten, antworten praktisch alle drei: „Der Kontakt zu Kundinnen und Kunden war das Wichtigste. Kundenorientierung und Verkauf haben wir als Gegenstand in der 2. Klasse.“ Die Übertragung von der (Unterrichts-)Theorie auf die berufliche Praxis sei eine wichtige Erkenntnis gewesen, „weil du musst das ja in allen Situationen durchziehen. Leute kommen hektisch rein, es herrscht großer Stress. Es kommen die unterschiedlichsten Kundinnen und Kunden von kleinen Kindern bis zu Betrunkenen. Manche Gäste sind außerdem noch unfreundlich. Dafür freust du dich, wenn ein kleines Kind lächelt, wenn du ihm einen Ballon gibst …“Schwierig sei aber der höchst unterschiedliche Andrang. „Du hast Zeiten, wo dir langweilig ist, weil kaum wer kommt und dann wollen plötzlich viele alles auf einmal. Aber du lernst da durchzuhalten.“
Welche Erkenntnisse
Sicher, für klassische Fächer einer kaufmännischen Schule wie Buchhaltung, Kostenrechnung, Marketing, Controlling usw. bringen solche Pflichtpraktika praktisch nichts. Aber neben der Kundenorientierung auch unter höchsten Belastungen vermitteln diese temporären Jobs auch Einblicke in das Erstellen von Dienstplänen als „Personalwesen“, aber auch praktische Teamarbeit in Belastungssituationen. Sie können auch zur Persönlichkeitsentwicklung beitragen, oft sind (Fremd-)Sprachenkenntnisse gefragt. Gerade in Wien stürmen oft Tourist_innen Fast-Food-Lokale.
AAAAA
Die VBS Augarten entwickelte aus dem Pilotprojekt mit dem einen Unternehmen aber auch den Pflichtpraktika insgesamt samt deren Vor- und Nachbereitung ein eigenes Konzept und nennt es 5A – Angenehm Anders Als Alle Anderen.
Das beginnt beim Erstellen der Bewerbungsunterlagen und des Verfassens des Lebenslaufes. Dazu wird den SchülerInnen vermittelt, ihre eigenen Stärken und Fähigkeiten, neudeutsch Skills, zu erkennen. 08/15-Bewerbungen werden oft „überlesen“ und schnell abgelegt. „Jede Bewerbung ist optisch und inhaltlich ein Unikat und gleicht keiner anderen“, so die Zielstellung aus dem QuintA-Konzept.
Fünf ist auch die Zahl der Unterrichtsgegenstände, die Teil des Projekts sind: PBSK (Persönlichkeitsbildung und Soziale Kompetenz), KOV (Kundenorientierung und Verkauf), BWUB (Betriebswirtschaftliche Übungen), Deutsch und OMAI (Office Management und Angewandte Informatik).Vielleicht ist das Engagement der federführenden Lehrerin, Marion Maurer nicht zuletzt auf ihre Erfahrungen als Schülerin zurückzuführen. Zwar kein Pflicht-, aber doch ein Praktikum absolvierte sie, von dem sie heute noch sagt: Es war sterbenslangweilig. Kontoauszüge sortieren in einem Raum mit acht bis zehn Leuten und den ganzen Tag nicht wegbewegen dürfen beschreibt sie die anspruchslose Tätigkeit und wünscht(e) sich und anderen, „dann lieber ein Beiwagerl bei jemand in Führungsfunktion, wo du mitläufst und in unterschiedlichste Aufgabenbereiche hineinschnuppern kannst“.
Wünsche
Was sich die vier wünschen würden Tayfun Ertanir würde gern in einem Büro Buchhaltung und Rechnungswesen machen. Tamara Bosnjaković will verschieden Berufsfelder ausprobieren „und einmal auch Chefin sein“. Onur Okay fand sein Praktikum „sehr abwechslungsreich vor allem wegen des vielen Kundenkontakts. Aber 300 Stunden wie in der HAK wären besser.“Milesa Poisinger war „zufrieden, weil es doch auch Einblicke hinter die Kulissen der Herstellung gab, aber ich würde schon gern auch Buchhaltung im Büro machen.“
Probleme
Insbesondere für HASch schwierig, weil auch Konkurrenz durch Tourismusschulen, HAK, sogar Bac-Studierende und 3-jährige Fachschulen für Tourismus. Und mit den 150 Stunden, also rund einem Monat sozusagen nicht Fisch und nicht Fleisch. Viele Unternehmen wollen da nicht Verantwortung übertragen, damit sind die Praktika dann oft auf einfache Tätigkeiten reduziert, die einerseits recht langweilig sind, und andererseits die Lernkurve nicht sehr nach oben bringt.
Sehr sinnvoll
„Der neue Lehrplan ist sicher sinnvoll, weil die Jugendlichen ins wirkliche Berufsleben mehr als nur reinschnuppern können“, meint Brigitte Heller, SchulQualitätsManagerin für das berufsbildende Schulwesen in der Bildungsdirektion Wien. „In den HTL funktioniert das auch schon gut, da gibt es in vielen Schulen Innovation Days, wo sich Firmen an Ständen in den Schulen präsentieren und so Schülerinnen und Schüler und Firmenvertreter direkt über Praktikumsplätze ins Gespräch kommen. Im technischen Bereich ist das schon gut im Griff, vielleicht auch weil hier Fachkräfte extremst gesucht werden und im kaufmännischen Bereich diese Not noch nicht so groß ist.“
Lösungswege
Ihr für den kaufmännischen Bereich zuständiger Kollege Fred Burda ortet weniger Probleme, „im Großen und Ganzen funktioniert’s ohnehin ganz gut, insbesondere Jugendliche aus den verschiedenen Migranten-Communities organisieren sich Praktikumsplätze über Unternehmen in diesen Gemeinschaften oder über Fußball- und andere Sportvereine“.
Wirtschaftskammer
Da nichts desto trotz von nicht wenigen Jugendlichen und aus Elternkreisen immer wieder Klagen kommen, dass es alles andere als leicht ist, Pflichtpraktikumsplätze, die eben mehr als Schnuppertage, damit auch arbeitsrechtlich abgesichert und bezahlt sind, zu finden, fragt der (Kinder-)KURIER bei der Wirtschaftskammer nach. Gibt es von der verpflichtenden Interessensvertretung der Unternehmen so etwas wie Motivation an die Mitgliedsfirmen, doch solche Plätze anzubieten – immerhin geht es ja doch auch um Fachkräfte für morgen.
Nun ja, im Bereich der Handels-Akademien gebe es ein eigenes Fach, das Banken und Versicherungen mit Schulen entwickelt haben, berichtet Sabine Uitz von der Tiroler Wirtschaftskammer: FiRi – Finanz- und Risikomanagement. Dieser Ausbildungsschwerpunkt (3. bis 5. Klassen je zwei Wochenstunden) in sechs Bundesländern (Wien, NÖ, OÖ, Salzburg, Tirol, Vorarlberg) ist natürlich auch eng verknüpft mit den Betrieben dieser Branchen und deren Interesse, Fachkräfte praktisch auszubilden und zwar nicht nur zum Kopieren oder Ablegen von Dokumenten einzusetzen. Auf der dazugehörigen Homepage gibt’s dazu eine Plattform für Ferialjobs. Nicht selten würden sich, so Uitz zum KiKu, auch „wenn’s für beide Seiten gepasst hat, geringfügige Teilzeitjobs während der Schulzeit oder eben echte Jobs nach der Matura bzw. schon davor Job-zusagen, ergeben.“
Die Seiten von Arbeiterkammer (samt Musterverträgen) sowie Wirtschaftskammer bieten Informationen über Bedingungen der Pflichtpraktika und bei letzteren auch Jobbörsen für solche Plätze.