Kiku

Jugendliche Sichtweisen: Blind, Stimmen im Kopf, Berge, „typisch“

„Vor längerem, als ich über die Straße gehen wollte, kam einer von hinten. Einfach so hat er mich am Arm genommen und über die Straße geführt. Hat sich nicht vorgestellt, nicht gegrüßt, nur „Ich helfe mal kurz, ja?“ gesagt und mich über die Straße gezogen. Verrückt, habe ich gedacht, und dann soll man sich bedanken. Aber gut, ist ja lieb gemeint, habe ich mir gedacht und mich bedankt. Der Eine, der mich über die Straße gebracht hat, muss sich wie der Superheld in Person gefühlt haben. Und das hätte ich gerne gesehen. Wirklich gerne. Aber wenn ich es sehen hätte können, dann hätte er mich nie über die Straße gezogen. Und dann hätte ich es nicht einmal hören können, den Stolz in seiner Stimme, meine ich.“

So beginnt Julia Lückl (Sir-Karl-Popper-Schule/Wiedner Gymnasium, Wien) ihren Text „Meine Sicht der Dinge“. Und mit dem gewann die 17-Jährige den Exil-Literaturpreis in der Kategorie Jugend. Schon im Vorjahr hatte sie den Bewerb „texte.wien“ gewonnen – mit „Neuland“, in dem sie sich „sehr poetisch dem Thema Grenze näherte – dies- und jenseits einer solchen – mitunter samt aller Härte. Und der Einengung auch der eigenen Seite“, wie der Kinder-KURIER damals schrieb.

 

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Endlich – fragte ein Kind

Zu Schreiben begonnen hatte sie „in der Volksschule, da habe ich Gute-Nach-Geschichten für meinen kleinen Bruder geschrieben“, vertraute sie im Vorjahr dem Kinder-KURIER an. „Später hab ich dann alles mögliche geschrieben – als Freizeitbeschäftigung, um meine Gedanken festzuhalten. Das hab ich oft gemacht, immer, wenn ich Zeit gehabt habe.“

Darauf, über eine Hauptfigur zu schreiben, die blind ist, „bin ich gekommen, weil ich ungefähr ein halbes Jahr davor bei Dialog im Dunkeln war und selber als kleines Kind sehr schlecht gesehen habe, ein Auge war lange Zeit mit einem Pflaster zugeklebt.“ In ihrem Text beschreibt sie vor allem die sehr verhaltenen, oft seltsamen Reaktionen der Mitmenschen. Nur gegen Ende lässt sie die Hauptfigur auf einer Parkbank auf einen jungen Buben treffen, der völlig unbeschwert und neugierig Fragen stellt:

„Du starrst so“, hat er gesagt. „Stört es dich?“, habe ich gefragt. Ich glaube, er hat den Kopf geschüttelt. Hab ich zumindest so gehört. „Was siehst du eigentlich, wenn du so schaust?“ Ich habe nichts gesagt. Da stand dieser kleine Junge und fragt mich die Frage. Endlich. Und ich habe so lange gewartet, so lange, wirklich. Endlich einer ohne Blatt vorm Mund, einer der mir in die Augen sehen kann, ohne rot zu werden. Glaube ich zumindest. Und dann muss ich ehrlich sagen: Ich wusste keine Antwort. „Ich weiß es nicht“, habe ich gesagt und „vielleicht einfach nichts.“ „Nichts? Geht das?“ „Ich weiß es nicht.“ Er war kurz still. „Und wenn ich die Augen zumache, ist das dann so wie dein Nichts?“ „Vielleicht.“ Und dann hat er sich zu mir gesetzt. Direkt neben mich, direkt neben meinen Arm mit dem Band und den drei schwarzen Punkten. Und wir waren ganz still. Versunken im Nichts, er für ein paar Minuten, ich noch für ein bisschen länger.

 

Guter Jahrgang

„Heuer war ein besonders guter Jahrgang in allen Kategorien, bei den Einreichungen Jugendlicher hat sich die Jury entschlossen, das Preisgeld zu teilen und gleich drei Preise zu verleihen“, so die Erfinderin, Herz und Motor der Exil-Literaturpreise Christa Stippinger. Und so gibt es hier nun zwei weitere Preisträger_innen: Sahel Rustami und Sophia Felsinger.

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Fotos aller Preisträger_innen, ob jugendlich oder erwachsen

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