Junge bringen den Stoff, Alte nähen Masken für Maturant_innen
Von Heinz Wagner
Hilde Ceh bewegt sich relativ flott mit ihrem Rollator auf die Gruppe junger Leute vor dem Simmeringer Senior_innen-Haus zu. Die Jungen haben für sie einen Ballen roten Baumwollstoff (rund 13 Meter) mitgebracht. Daraus wird sie auf ihrer Nähmaschine in ihrem Zimmer Nase-Mund-Masken anfertigen. „Schauen Sie, die bunte, die ich trage, hab ich auch selber genäht“, erklärt und deutet sie dem Kinder-KURIER-Reporter.
220 solcher Masken wollen die jungen Leute von der Initiative am ersten Tag der schriftlichen Matura den Schüler_innen der heuer doch sehr ungewöhnlichen Prüfungen überreichen – als Art aufmunternde Mut-„Injektion“ für die letzten Meter ihres schulischen Abschlusses.
Junge schneiden zu
Selbstverständlich alle Distanzregeln einhaltend – drum findet das Treffen ja vor dem Haus statt – prüft Frau Ceh den Stoff mit einer Hand greift ihn, spürt ihn, und zeigt sich zufrieden. Allerdings, so merkt sie kritisch an: „Wo ist die Nähseide?“
Die versprechen die jungen Leute von der Initiative „Better together in Simmering – In Simmering halt ma zam!“ beim nächsten Mal mitzubringen. Außerdem werden sie den Stoff, der im Wohnhaus in der großen Waschmaschine gereinigt und danach gebügelt wird, am nächsten Tag nochmals abholen und in 40 mal 20 Zentimeter-Streifen schneiden – „da wär mir schon sehr geholfen, wenn ihr den vorschneiden könntet, ich hab in meinem Zimmer ja nur einen kleinen Tisch und auf dem steht die Nähmaschine“.
Gesagt – versprochen – und getan, wie zwei Tage später Ava Farajpoory, Sprecherin der Simmeringer "halt ma zam"-Aktion dem KiKu am Telefon stolz und doch auch ein wenig verlegen lächelnd berichten wird: "Wir haben uns beim Zuschneiden am Anfang nicht so leicht getan“.
Fast 90
Hilde Ceh wird, das sagt eine der Betreuerinnnen in der Gesprächsrunde vor dem Senior_innenhaus, in zwei Wochen 90. Wirkt aber um gute zehn oder mehr Jahre jünger, strahlt volle Lebensfreude aus, „auch wenn mir ein Notarzt vor vier Jahren schon gesagt hat, ich soll abschließen.“
Ihre relative Jugend und die Fröhlichkeit und Lebenslust erklärt die fast 90-Jährige so: „Das kommt, weil ich immer was mach, ich halt’s nicht aus nichts zu tun. Für meine zwei Kinder (sorry, dass hier zuerst vier gestanden sind, Tschuldigung für den Fehler! Anm. des Autors) aber auch für mich hab ich früher das ganze Gewand genäht. Schon als Kind hab ich meiner Mutter beim Nähen geholfen, damals aber noch ganz ohne Maschine. Die Nähmaschine hier im Heim, in dem ich jetzt schon mehr als elf Jahre bin, ist meine dritte im Leben.“
Lebensgeschichte aufschreiben
Bevor sie jetzt die Masken-Näherei in Angriff genommen hat, „hab ich angefangen, meine Lebensgeschichte aufzuschreiben. Ich hab ja schon allerhand erlebt“. Sie schreibt mit Stift auf Papier, chronologisch und ist jetzt ungefähr beim Ende ihrer Schulzeit, das in etwa mit dem Ende des zweiten Weltkriegs zusammenfällt. Sie zweifelt zwar an, ob das überhaupt jemanden interessieren könnte, „aber ich muss halt was tun“. Die begonnene Erzählung interessiert die jungen Leute sogar sehr und sie versprechen: „Frau Ceh, wenn Sie mit den Masken fertig sind und wenn wir uns dann vielleicht schon bei Ihnen im Haus treffen dürfen, würden wir gern abtippen, was Sie schon geschrieben haben“, so Sarah Barisić.
Oral History
„Ich glaub, ich würd auch viel lieber erzählen“, freut sich die Fast-90erin. Das nehmen die beiden genannten und dazu noch Raphael Pollack, Thomas Kloimwieder und Amerisa Bajrić noch fast begieriger auf diese Geschichten auf.
Bevor die Tour mit dem KiKu weitergeht, der an diesem Tag diese Initiative begleitet, braucht’s natürlich noch ein Gruppenfoto von Jung und Alt – und den altersmäßig dazwischen, natürlich viel näher bei den Jungen angesiedelten Betreuer_innen des Senior_innen-Hauses: Sabine Klemisch, Teamleiterin Ursula Barisić und Doris Matzenberger.
Anleitungs-Video
Mittlerweile ist im Senior_innen-Heim ein Anleitungs-Video entstanden. Frau Ceh erklärt einer Mitbewohnerin, die sich auch an der Näh-Aktion beteiligen wollte, wie so eine Nasen-Mund-Maske zu falten und zu nähen ist. Zu diesem Video geht's hier.
Via "Jump!Star"
Der Kinder-KURIER stieß über ein ganz anderes Projekt auf diese Simmeringer Initiative – über das Kunst-Projekt „Jump!Star“. Das hätte ursprünglich in eben diesem Wiener Bezirk, dem elften, über die Bühne gehen sollen, aber – eh schon wissen. So fand es im Netz statt – in täglichen – offenen Begegnungen – zwischen Kunst, Kultur und gesellschaftspolitischem und sozialem Diskurs – siehe Link unten.
An jenem Nachmittag, an dem der KiKu im „Jump!Star“-Online-Video-Meeting dabei war, war die Simmeringer Initiative zu Gast – um die Brücke zum vorgesehenen analogen Ort zu schlagen. Entstanden aus der JG Simmering, der im Schnitt braveren, angepassteren Jugendorganisation der SPÖ als es die SJ ist, legen alle Mitwirkenden – nicht nur dem Kinder-KURIER gegenüber – Wert darauf, dass „Better together in Simmering nichts mit Parteipolitik und Wahlkampf zu tun hat. Jede und jeder kann sich engagieren und geholfen wird auch denen, die Hilfe brauchen, da spielt die Farbe keine Rolle“, wird Ava Farajpoory nicht müde das vielfach zu betonen.
Gabenzäune …
Begonnen hatte alles mit Lebensmittel-Sackerln an Gabenzäunen im Bezirk, erzählen die jungen Helfer_innen. Und so treffen wir sie in der ersten Maiwoche zunächst am Vormittag in Floridsdorf, in der Holzmanngase gleich bei der U1-Station Aderklaaer Straße. Dorthin hat die Volkshilfe Wien ihre Lebensmittel-Ausgabestelle in Corona-Zeiten verlegt, „weil’s im Gürtelbogen, wo wir das seit ewig machen, zu eng war und damit die Abstands-Regeln nur schwer einzuhalten waren“, erklärt die Geschäftsführerin, die frühere SPÖ-Gemeinderätin Tanja Wehsely.
Lebensmittel-Ausgabe
Sie, die schon mehrfach erwähnte Ava Farajpoory und die Simmeringer Volkshilfe-Chefin, die frühere SPÖ-Bezirksvorsteherin Eva-Maria Hatzl, sammeln im Lagerraum der Ausgabestelle Öl, Bohnen, Mehl, Zucker, Reis, Salz, Sugo, Nudeln, Linsen, Hafer, Marmelade, Grieß, Germ und haltbare, laktosefreie und vegane Milch (Mandel bzw. Kokos) und befüllen damit je zwei Sackerln. „Einiges davon haben wir gespendet bekommen – von Firmen, aber auch von Einzelpersonen. Es brauchen nicht nur Leute Hilfe, es melden sich immer wieder Menschen, die helfen wollen und es auch tun“, freut sich Wehsely über gelebte Solidarität – wie auch die Simmeringer Initiative, die ihr besonders gefällt, weil sie gleich von einer Gruppe Jugendlicher bzw. junge Erwachsener ausgegangen ist.
Gemüsebauer
Nächste Station: Gemüse-Gärtnerei Steinhart in der Kaiser-Ebersdorferstraße. Der Simmeringer Betrieb in vierter Generation – die fünfte ist mit der bereits ausgelernten Tochter des Hauses auch schon im Einsatz – pflanzt und erntet Radieschen, Schnittlauch, Petersilie, Vogerlsalat und vor allem Melanzani. „Wir waren vor acht Jahren die ersten damit“, so Thomas Steinhart zum KiKu. Dieses Gemüse züchten sie auf einem Großteil ihrer Betriebsflächen, die wiederum überwiegend überdacht sind. Die Melanzani-Pflanzen müssen immer händisch um die Steher raufgewickelt werden. „Anders wie bei Bohnen ranken sich diese Pflanzen nicht von alleine rauf, die Früchte sind zu schwer, sie würden auf den Boden fallen und dann hätten die Melanzani Druckstellen“, erklärt der Gemüsebauer, der auch stellvertretender Bezirksvorsteher (SPÖ) ist, aber sagt, „darauf kommt’s bei der Unterstützung der Initiative nicht an, die soll überparteilich sein, trotz Wahlkampf“.
"Nur" tratschen…
Die Initiative hat Flyer produziert, auf denen sie knapp und klar anführt, welche Hilfen sie alle anbietet. Und dazu die Telefonnummer eines Handys, das immer eine/r der Aktivist_innen bei sich hat. Als Hilfe werden u.a. angeboten, für Hochrisiko-Menschen einkaufen zu gehen oder andere Besorgungen zu erledigen, aber auch für einen „Tratsch am Telefon“ bereit zu sein. „Das haben noch nicht viele in Anspruch genommen, aber ein paar schon“, berichtet Ava Farajpoory dem Journalisten. „Ein paar ältere Leute aus einem Simmeringer Senior_innenheim haben schon angerufen, eine Dame hat sich ur-gefreut und war ganz erstaunt, dass junge Leute bereit sind, Menschen wie ihr zuzuhören.“
Überwindung
Wobei es gar nicht leicht ist, wo anzurufen, wo man niemanden kennt – die Flugzettel konnten ja nur hinterlassen und niemandem persönlich übergeben werden. „Es hat mich schon Überwindung gekostet, sogar wenn man jemanden kennt“, gesteht Gerlinde M. dem Kinder-KURIER. Sie leidet an Bronchialasthma und COPD (chronische Lungenerkrankung) und soll/darf deswegen als Angehörige einer Hoch-Risikogruppe nicht selber einkaufen gehen. Raphael Pollack und Thomas Kloimwieder haben so besorgt, was sie benötigt und überreichen vor der Wohnungstür die Einkäufe und Frischgemüse vom Bauern Steinhart - gemeinsam mit Eva-Maria Hatzl. Die Simmeringer Volkshilfe hatte für die Frau die Heizkosten übernommen. „Irgendwie hab ich mich sogar geschämt, bevor ich dann doch angerufen habe“, sagt Gerlinde M. „aber ohne Hilfe wär’s nicht gegangen“, freut sie sich sicht- und hörbar – und doch irgendwie auch verschämt.
Gaben-Bänke
Letzte Station der Reise mit den helfenden Simmeringer_innen: Ein kleines Platzl, eine Art Einkaufszeile zwischen Bleriot und Seeschlachtgasse. Hier steht – zum Glück – kein Zaun dazwischen, aber zwei Reihen mit Sitzen. Die schon genannten jungen Leute und dazu noch weitere Initiativen-Mitarbeiter_innen - Zeynep Berber,
Manuel Kosazky und Thomas Krainer aus diesem Bezirks-Grätzel platzieren die – am Vormittag von der Volkshilfe-Lebensmittelausgabe geholten – Sackerln auf den Sitzen, fügen noch jeweils einen Flyer mit der Hilfs-Telefonnummer. So lange noch die ganze Gruppe herumsteht, kommen „nur“ Menschen vorbei, die auf die Hilfe nicht angewiesen sind und ihre Einkäufe zahlen können. Aber schon eine Stunde später, so lässt Manuel Kosazky dem KiKu ausrichten, waren alle Sackerln weg. Er hatte bei der Verteilung der Sackerln auf die Sitze davon erzählt, „dass sich bei der Nummer auch einmal ein Mann gemeldet hat, der frisch aus dem Spital entlassen worden war und sich nicht allein getraut hat auf die Bank und Post zu gehen. So haben wir ihn begleitet – selbstverständlich mit Abstand.“
Ava Farajpoory, die meist lachende, fröhliche Sprecherin von „Better together in Simmering – In Simmering halt ma zam!“ informiert den Reporter auch noch darüber, dass sich im Senior_innenhaus eine weitere ältere Frau, die Hilde Cehs Aktivität aufmerksam beobachtete, eingeklinkt hat und nun einen Teil des Stoffes übernommen hat, um auch Masken zu nähen.
„Better together in Simmering – In Simmering halt ma zam“
Telefon: 0677/633 949 81