Geruch von frischem Apfelkuchen, Miauen und mehrere Sprachen
Von Heinz Wagner
„Meine Muttersprache ist Deutsch bzw. Deutsch mit österreichischem Akzent. Die zweite Sprache, die mir in meinem Leben begegnete, war Englisch. Heute spreche ich Englisch schon fast fließend. Ich mag die englische Sprache wegen ihrer vielen Möglichkeiten, etwas zu beschreiben, außerdem kann man sich so mit vielen Menschen unterhalten. Durch meine Großmutter lernte ich ein ganz klein wenig Russisch. Eine weitere Sprache, die mir durch meine Großmutter nähergebracht wurde, ist Thailändisch.“ Das schrieb Eva Siebrandt aus der Europaschule Linz. Gemeinsam mit neun Kolleg_innen dieser Schule in der oberösterreichischen Landeshauptstadt hatte sie im Wahlpflichtfach Geisteswissenschaften Texte zu „Kann Sprache Heimat sein?“ verfasst.
Mit diesem Projekt gewannen die Jugendlichen und die sie betreuenden Lehrpersonen den diesjährigen exil-Literaturpreis in der Kategorie Schulprojekte.
Die eingangs zitierte Schülerin verbindet übrigens mit Heimat unter anderem „den Geruch von frischem Apfelkuchen und frischen Blüten und das Geräusch von Vogelzwitschern das Miauen meiner Katze…“
Buchstaben- und Wortspiel
Bais Sezer nahm das Wort her und suchte zu jedem der Buchstaben Sätze, zu E beispielsweise „Eine Heimat habe ich nicht, sondern zwei“ was er dann beim T auflöst: „Türkei und Österreich sind die Länder, die ich als Heimat bezeichne“.
Mehrsprachig und dazwischen
Die meisten der zehn Kinder, die Texte dazu verfassten, wachsen mit mehreren Sprachen auf, eine, Hatice Serinbas, hat ihren Text auch in zwei Sprachen geschrieben, auf Deutsch und Türkisch. Mervenur Inci, deren Eltern aus der Türkei kommen, lässt in ihrem Text durchklingen, dass sie ein bisschen bedauert, nicht mehr Türkisch und Kurdisch – die beiden Muttersprachen ihrer Eltern – zu können. Außerdem beschreibt sie ihr Dasein „zwischen den Kulturen“ (wie es im Untertitel dieses Literaturbewerbes heißt): „Ich selber habe Schwierigkeiten, mir meine Heimat zu wählen. Hier in Österreich sehen sie mich als Ausländerin, in der Türkei sehen sie mich als Österreicherin. In allen beiden Ländern sehen sie mich als eine andere Person. Ich denke trotzdem, dass ich mich für Österreich entscheiden würde, ich bin hier geboren, aufgewachsen und gehe hier in die Schule. Die Türkei ist aber auch ein tolles Land mit Menschen, bei denen ich mich sehr wohl fühle.“
(Fast) allgemeingültig
Die wohl für die allermeisten Menschen auf der Welt gültige Antwort formulieren Aybüke Benli und Amira Achmatova recht ähnlich: „Heimat ist für mich, wo meine Familie ist. Heimat ist für mich, wo ich mich wohl fühle und nicht in Angst leben muss“, schreibt die Erstgenannte und ihre Kollegin formulierte es so: „Heimat ist für mich ein Ort, wo ich mich glücklich fühle, wo ich sicher bin und wo ich mit meiner Familie sein kann!“
Die zuletzt genannte Schülerin beschreibt auch, dass sie draufgekommen ist – wie viele andere, nicht nur eine Heimat zu haben. Für sie ist es Linz und Tschetschenien, wo die meisten ihrer Verwandten leben.
Am leichtesten auf Deutsch
Fünf der zehn jungen ausgezeichneten Autor_innen waren mit ihren beiden Lehrer_innen, die das Projekt betreuten, Helena Srubar und Wolfgang Bilewicz, nach Wien ins Literaturhaus zur Preisverleihung gekommen. Hier hatten sie – und dazu noch ein neu dazugekommener Schüler, Michael Leon Hamser, alle zehn Texte vorgetragen, also auch die der noch nicht genannten Lara Bayhan, Adriana Lehaci, Noah McKenna und Mirko Kalaba.
Am leichtesten, so erzählen sie dem Kinder-KURIER „fällt uns das Schreiben in Deutsch“, Ihre jeweiligen anderen Sprachen beherrschen sie – leider, bedauern manche – nicht annähernd so gut. Die beiden Lehrkräfte hatten ihnen das Thema gegeben. „Wir haben dann gleich in der Schule geschrieben, aber unsere Texte schon mehrmals überarbeitet“, kriegt der Reporter mitunter Antworten fast im Chor.
Überraschend
Dass sie mit ihren Arbeiten den Preis (1000 € finanziert von der Literaturabteilung des Bundeskanzler_innen-Amts) gewinnen, „war sehr überraschend, das hätten wir nicht gedacht. Aber es hat uns sehr glücklich, auch ein bisschen stolz gemacht“, andere werfen von allen Seiten ein „und wir sind auf einmal viel selbstbewusster geworden durch dieses große Erfolgserlebnis!“gekommener Jugendlicher.
Ein Wettbewerb zur Förderung der Literatur von Autor_innen, die aus einer anderen Kultur und Erstsprache kommen und in deutscher Sprache schreiben
1. Preis (Prosatext): € 3.000,-
2. Preis (Prosatext): € 2.000,-
3. Preis (Prosatext): € 1.500,-
Lyrikpreis: € 1.500,-
Preis für Autor_innen mit Deutsch als Erstsprache: € 1.000,-
Preis für Schulprojekte: € 1.000,-
exil-Jugend-Literaturpreis: € 1.000,-
exil-Dramatiker_innenpreis: € 3.000,-
(Kooperation mit den Wiener Wortstätten und dem Schaupiel Leipzig; Details: http://www.wortstaetten.at/projects/dramatikerinnenpreis/
Drama-Einreichungen nur direkt an die Wiener Wortstätten)
Die Texte sollen maximal 10 Seiten (ca.1800 Zeichen/A4 Seite) umfassen und sich im weitesten Sinne mit den Themen Fremd-, Anders-Sein, Identität oder leben zwischen Kulturen auseinandersetzen.
Für Einreichungen von Schulklassen gilt: Teilnahmeberechtigt sind alle Jugendlichen, die in Österreich leben. Eine maximale Seitenzahl von 35 Normseiten soll nicht überschritten werden.
Einsendungen an
Verein exil
1070, Stiftgasse 8
verein.exil@inode.at
Kennwort „exil-literaturpreise“
Einsendeschluss
Prosa, Lyrik, Drama: 30. April 2020
Jugendtexte, Schulprojekte: 30. Juni 2020