Wissen/Gesundheit

Nicht nur Übergewicht: Auch Schlankheit liegt in den Genen

Warum können manche Menschen ihr Gewicht einfacher halten als andere? Dieser Frage haben sich Wissenschafter der University of Cambridge im Zuge der bisher umfangreichsten Studie zum Thema angenommen. Die Erkenntnis der Forschenden: Schlankheit liegt in den Genen.

Alle Inhalte anzeigen

Globales Problem, individuelle Unterschiede

Rund 2,2 Milliarden Menschen gelten weltweit als übergewichtig oder fettleibig. Als Folge des weitverbreiteten Übergewichts leiden immer mehr Menschen an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder Krebs. Einer US-Studie aus dem vergangenen Jahr zufolge war Übergewicht die Ursache für vier Millionen Todesfälle im Jahr 2015.

Obwohl Übergewicht zum globalen Problem geworden ist, gibt es innerhalb von Bevölkerungsgruppen mitunter große individuelle Unterschiede – manche Menschen scheinen trotz ungesunder Ernährung schlank zu bleiben, während andere schneller zunehmen. Letzteren wird von der Gesellschaft oft Faulheit und mangelnde Willenskraft attestiert.

Das diese Erklärung jedenfalls zu kurz greift, konnte nun ein Forschungsteam rund um die Medizinerin und Genforscherin Sadaf Farooqi von der University of Cambridge belegen.

Alle Inhalte anzeigen

Der Ansatz, dass das Erbgut unser Gewicht steuert, ist nicht neu. Zwillingsstudien haben in der Vergangenheit etwa bereits gezeigt, dass das Körpergewicht und dessen Schwankungen auch von der genetischen Veranlagung abhängig sind. Bisher konzentrierten sich Untersuchungen aber überwiegend auf Menschen mit Übergewicht. Es wurden über 100 Stellen im Erbgut identifiziert, die mit dem Body-Mass-Index (BMI) zusammenhängen. Bei manchen Menschen können Adipositas-assoziierte Genvarianten schon in jungen Jahren zu starkem Übergewicht führen.

Schlankheitsgene gefunden

Für die aktuelle Studie, die im Fachblatt PLOS Genetics veröffentlicht wurde, verglichen die Wissenschafter DNA-Proben von 1600 gesunden, schlanken Menschen mit einem BMI von unter 18 mit jenen von 2000 schwer adipösen Menschen und 10.400 normalgewichtigen Personen.

In die Analyse miteinbezogen wurden auch Lebensstilfaktoren, die mittels Fragebogen erhoben wurde, um etwa den Einfluss von Essstörungen bei den Berechnungen zu berücksichtigen

Es zeigte sich, dass Menschen mit Übergewicht eine Reihe von Genen besitzen, die mit Übergewicht zusammenhängen. Schlanke Studienteilnehmer besaßen allerdings nicht nur weniger Gene, die mit Fettleibigkeit assoziiert werden, sie wiesen auch veränderte Stellen im Erbgut auf, die offenbar explizit mit Schlankheit in Verbindung stehen.

Komplexe Sache

Studienleiterin Farooqi mahnt im Kontext der Ergebnisse davor, Menschen aufgrund ihres Gewichts pauschal zu verurteilen oder geringzuschätzen.

"Die Erhebung zeigt zum ersten Mal, dass gesunde, schlanke Menschen in der Regel schlank sind, weil sie eine geringere genetische Belastung haben, die die Übergewichtschancen erhöht, und nicht weil sie moralisch überlegen sind, wie manche Leute das gerne behaupten", schildert sie im Interview mit der BBC.

Es sei leicht, Menschen für ihr Gewicht zu kritisieren, "aber die Wissenschaft zeigt, dass die Dinge viel komplexer sind". "Wir haben viel weniger Kontrolle über unser Gewicht, als wir denken."

In einem weiteren Schritt müssten nun die genauen Gene identifiziert werden, die an natürlicher Schlankheit beteiligt sind. Längerfristig könnte dieses neue Wissen in Abnehmempfehlungen eingearbeitet werden.

Einflussfaktoren berücksichtigen

Tom Sanders, emeritierter Professor für Ernährung und Diätologie am King's College London, bewertet die Studie im Interview mit der BBC grundsätzlich positiv: "Wir haben hier eine wichtige und gut durchgeführte Studie, die bestätigt, dass frühreifes Übergewicht häufig genetisch bedingt ist und überzeugend zeigt, dass diejenigen, die sehr dünn sind, sich genetisch von der allgemeinen Bevölkerung unterscheiden."

Sanders gibt jedoch zu bedenken, dass Fettleibigkeit meist im Erwachsenenalter erworben wird und "mit der übergewichtsfördernden Umgebung, in der wir leben, zusammenhängt". Einflussfaktoren wie allgemeiner Bewegungsmangel und die Verfügbarkeit kalorienreicher Nahrungsmittel dürften nicht außer Acht gelassen werden.