Diagnose Burn-out: "Ich hatte immer wieder Atemnot"
Knapp vor Weihnachten spürte Silke Solly, dass etwas nicht in Ordnung war: „Ich hatte immer wieder Atemnot, aber der Arzt hat nichts gefunden. Es war so viel zu tun, zu Weihnachten muss alles perfekt sein. Und dann habe ich beim Kochen plötzlich von der Hüfte abwärts meine eine Seite nicht mehr gespürt und musste mich hinlegen. Es wurde immer schlechter, bis ich fast wie gelähmt war – dann hat mich mein Mann ins Krankenhaus gebracht, wir hatten Angst, es sei ein Schlaganfall“, erzählt die vierfache Mutter über ihre schwere Zeit vor vier Jahren.
Es stellte sich heraus, dass es keine medizinische Erklärung für ihren Zusammenbruch gab, aber eine Diagnose: Burn-out. „Ein Therapeut hat mit mir geredet und ich habe mir noch gedacht, dass ich das nicht brauche. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, dass ich im Spital bin, obwohl ich eigentlich gesund bin – und dann habe ich stundenlang geheult.“
Sie stand unter enormem Druck: Die Juristin arbeitete in einem Führungsjob und ihr Mann konnte sich als Lehrer um die vier Kinder kümmern. „Bei meinem kleinsten Sohn bin ich zwei Monate nach der Geburt wieder arbeiten gegangen. Ich habe einen Karrieresprung gemacht, der toll war, mehr Verantwortung, mehr Geld. Wir hatten die umgekehrten Geschlechterrollen.“ Der berufliche Erfolg hatte auch Schattenseiten, sagt sie: „Mein kleiner Sohn war total auf den Papa fixiert. Am Wochenende bin ich als Ausgleich für meine Abwesenheit mit den Kindern shoppen gegangen.“
„Passiert nur anderen“
Die Diagnose Burn-out war für die Karrierefrau ein Schock: „In Management-Seminaren hat man uns erklärt, was wir tun können, damit wir unsere Mitarbeiter davor schützen. In der Pause habe ich mit Kollegen darüber geredet, dass das nur Leute bekommen, die nicht genug Energie haben. Uns würde so etwas nie passieren.“ Auch die Kinder waren irritiert, ihre Power-Mama plötzlich so schwach zu erleben, erinnert sie sich.
Den Jänner plante sie auf Anraten der Ärzte als Auszeit ein und konzentrierte sich auf ihre Erholung. „Ich habe Medikamente bekommen und viel geschlafen.“ Aber es ging nicht nur um körperliche Erschöpfung, erinnert sie sich: „Mein Mann hat uns Frühstück gemacht, ich bin am Sofa gelegen und er hat mich gefragt, ob ich Spiegeleier oder Omelette haben will. Diese Frage hat mich völlig überfordert.“
Sie verlängerte ihre Auszeit und besann sich auf ein Hobby, für das schon lange keine Zeit gewesen war, das Schreiben, und weil sie gerne etwas mit den Händen machen wollte, borgte sie sich eine alte Nähmaschine aus. Die Wochen gingen vorüber und Solly kam an einen dramatischen Punkt: „Es schien mir unmöglich, in meinen alten Job zurückzukehren. Allein der Gedanke machte mir Beklemmungen. Obwohl das Büro wie ein zweites Zuhause für mich war.“
Heute weiß sie, dass der Körper ihr immer stärkere Signale gab: „Ich habe mir dann viele Gedanken über mein Leben gemacht. Ich habe zwei Kinder bekommen und im Schnelltempo daneben Jus studiert und gleich einen guten Job bekommen. Dann war ich vierzig, das ist eine heikle Phase. Ich habe unterbewusst damit gehadert, ob ich mit meinem Leben glücklich bin. Ich hatte einen total sicheren Job, aber in dem Alter ist man noch zu jung, um nur auf die Pension zu warten. Ich musste als Führungskraft viele Entscheidungen mittragen, die ich nicht nur gut fand. Die Doppelbelastung empfand ich gar nicht so stark.“
Ein Neuanfang
Gemeinsam mit ihrem Mann traf sie eine grundsätzliche Entscheidung: Sie einigte sich mit ihrem Arbeitgeber auf eine Trennung und aus dem Hobby wurde eine Geschäftsidee – unter der Marke „Lieblingsrock“ entwirft und näht sie kreative Kleidungsstücke. „Das Verabschieden im Büro war interessant. Die Frauen fanden meine Pläne gut und bestärkten mich. Die Männer haben gesagt: ,Du wirst das eh nicht aushalten. In sechs Monaten bist du wieder da.’“
Auch in der Familie gab es anfangs Skepsis. „Eines meiner Kinder war irritiert, dass ich jetzt Schneiderin und nicht mehr Juristin bin. Erst als sich zeigte, dass die Mütter der Freunde begeistert bei mir einkaufen, hielt es das für weniger eigenartig.“ Es sei weniger Geld verfügbar als früher, aber „wir brauchen auch viel weniger. Ich kaufe weniger unnötiges Zeug, wir haben nur ein Auto, geben weniger Geld für Kinderbetreuung aus. Und unsere Lebensqualität ist gestiegen. Ich gehe jetzt zu Fuß in mein Geschäft statt jeden Tag nach Wien ins Büro zu fahren.“
Die Atmosphäre zu Hause veränderte sich: „Wir haben viel mehr Zeit zum Reden und für gemeinsame Aktivitäten. Die fehlende Zeit mit meinem kleinen Sohn haben wir total aufgeholt.“
Bei Silke Solly tut sich ständig etwas Neues: „Ich habe tolle Leute kennengelernt, mit denen ich Projekte mache, ich habe etwa ein Drehbuch geschrieben. Ich bin täglich dankbar für dieses Leben.“
Einige Fakten zum Thema
Diagnose Burn-out ist ein Überbegriff für Zustände, in denen man sich über längere Zeit psychisch und physisch vollkommen ausgebrannt fühlt. Oft geht dieses Syndrom mit Depressionen, Angstzuständen, Schlafstörungen, Verdauungs- oder Rückenbeschwerden einher.
Häufigkeit Acht Prozent der Österreicher sind laut einer Studie im Auftrag des Sozialministeriums betroffen. 19 Prozent befinden sich in einem problematischen Vorstadium. Besonders hoch ist der Anteil in der Gruppe der Unter-30-Jährigen und zwischen 50 und 59 Jahren.
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Burn-out-Syndrom: So viele sind betroffen
Diagnose: Burn-out ist ein Überbegriff für Zustände, in denen man sich über längere Zeit psychisch und physisch vollkommen ausgebrannt fühlt. Oft geht dieses Syndrom mit Depressionen, Angstzuständen, Schlafstörungen, Verdauungs- oder Rückenbeschwerden einher.
Häufigkeit: Acht Prozent der Österreicher sind laut einer Studie im Auftrag des Sozialministeriums betroffen. 19 Prozent befinden sich in einem problematischen Vorstadium. Besonders hoch ist der Anteil in der Gruppe der Unter-30-Jährigen und zwischen 50 und 59 Jahren.