Leben/Essen & Trinken

"Wir bringen uns um den Genuss"

Man mag es nach dem Hype der vergangenen Jahre kaum glauben, aber in Sachen fleischlose Küche geht auch im Jahr 2015 noch immer was. Ausgerechnet auf der Internationalen Süßwarenmesse in Köln, die morgen, Sonntag, beginnt, boomt das Grünzeug ebenfalls: vegane Chips, etwa. Sie erinnern an getrocknete Lorbeerblätter. Ein paar Stände weiter wird ein veganer Doppeldecker-Keks mit Zartbittercreme sowie Tofu-Schokolade mit Mistelsaft gezeigt.

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Und auch unter den Konsumenten wächst die Akzeptanz: Eine aktuelle Umfrage des Internet-Portalswww.vegan.euunter 1009 Fleischessern (17 bis 77 Jahre) bestätigt einmal mehr den Food-Trend. 59 Prozent der Befragten sind von der veganen Ernährungsweise überzeugt. 42 Prozent würden gern ganz auf tierische Produkte verzichten, schaffen das aber aus verschiedenen Gründen nicht.

Für Ernährungswissenschaftlerin Hanni Rützler und Kulturwissenschaftler Wolfgang Reiter ist das alles wenig überraschend. Auf den ersten Blick scheinen Veganer alle Argumente auf ihrer Seite zu haben, vom Tierwohl bis zur Gesundheit.

Dogmatisch

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Doch der Ton auf dem Ernährungssektor wird rauer, gerade zwischen Fleischessern und Veganer. "Mich stört das missionarische Auftreten und der Habitus moralischer Überlegenheit, mit dem die fundamentalistische Vegan-Fraktion auftritt", sagt Hanni Rützler. Sie argumentiert auch dagegen, vegane Ernährung sei gesünder. "Das ist einfach falsch und führt bei vielen dazu, dass sie sich Sorgen um ihre Gesundheit machen." Und: "Viele vegane Ersatzprodukte haben dieselben Mängel wie andere Fertigprodukte. Sie enthalten oft zu viel Salz und Zucker sowie unüberschaubar viele Inhalts- und Hilfsstoffe."

Auch aus diesem Grund machte sich die Kochbuchautorin Katharina Seiser nach einem mehrwöchigen Selbstversuch auf die Suche nach "echten" veganen Gerichten. Die gab es schon immer, überall in der Welt – von heimischen Krautfleckerln bis zu "Badrijani", gefüllte Melanzaniröllchen aus Georgien. "Das sind tradierte, verortbare Gerichte ohne Unnützes."

Hierzulande kommt hingegen immer Neues dazu. Ob Free-from- oder Functional food-Produkte – die Vielfalt ist enorm. "Es gibt keine allgemein gültige Ess-Norm mehr. Nicht einmal solche, die für bestimmte soziale Klassen oder Gruppen gelten", betont Reiter. Hanni Rützler ergänzt: "Es existiert kein ‚gesundes Essen‘, sondern nur ein Essverhalten, das der Gesundheit ab- oder zuträglich sein kann."

Mehr Spaß beim Essen

In ihrem neuen Buch (siehe links) plädieren Rützler und Reiter generell für mehr Spaß beim Essen. "Die zunehmend kursierende Verbotskultur und das Schüren von Ängsten sind Gründe, dass viele das Genießen verlernt haben." Und das fehlt definitiv, wenn bei jedem Bissen der Nährwert definiert wird. Dazu kommt der Verlust des eigenen Geschmacks. Essen werde im Alltag zu oft als Nebenbeschäftigung betrieben. "Wir schmecken nicht mehr hin."

Damit wären wir zu guter Letzt beim kulinarischen Gottseibeiuns gelandet – Fast Food. Die Kulinarik-Experten stört aber das pauschale "Bashing" von Tiefkühlpizza & Co. Reiter: "Dahinter verbirgt sich oft eine schnöselhafte Arroganz, ein Herniederschauen auf Menschen, die andere Probleme haben, als die perfekte Zubereitung eines ayurvedischen Gemüsecurrys." Schnelles Essen müsse nicht zwingend schlecht sein. Er zitiert den verstorbenen heimischen Gourmetkritiker Christoph Wagner: "Auch Austern sind Fast Food."

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Mehr Genuss: Hanni Rützler, Wolfgang Reiter, Muss denn Essen Sünde sein? Brandstätter Verlag, 19,90 €
(ab 2. Februar
erhältlich)
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Traditionell:Katharina Seiser, Immer schon vegan. Traditionelle Rezepte aus aller Welt. Brandstätter Verlag, 25 €
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Drei Hauben: Paul Ivic hat im Tian 3 Hauben erkocht. Als Buch zeigt er: Vegetarische Sommerküche. Brandstätter Verlag, 25 €.

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Roh kosten: Michaela Russmann, Rohgenuss – Die 4 Jahreszeiten, Verlag Russmann & Sohn, 24,95 €, unter www.rohgenuss.at/shop